SALVATORE SCIBONA: „DER FREIWILLIGE“


Im Jahr 2010 wird am Hamburger Flughafen ein kleiner Junge aufgegriffen, der niemanden in seiner Begleitung zu haben scheint. Der etwa Fünfjährige brabbelt in einer unverständlichen Sprache und verhält sich sehr eigen. Doch dies ist nur ein kleiner Teil einer verwinkelten Geschichte, die viel früher einsetzt.
Genau 60 Jahre früher nämlich beginnt die Geschichte dessen, von dem alles ausgeht. „Der Freiwillige“ lautet der Titel des neuen Romans von Salvatore Scibona und das englische Wort „Volunteer“ dafür wird hier in doppelter Bedeutung zum roten Faden alles weiteren.
Auf einer kleinen Farm im ländlichen Iowa wird 1950 Vollie Frade geboren. Weil er eine schwere Form der Meningitis überlebt, nennen seine Eltern ihn Volunteer, denn so bezeichnet man in diesen Kreisen besonders winterfeste Gemüsesamen. Zu einem echten Freiwlligen aber wird Vollie noch als Teenager, als er sich daheim absetzt und sich freiwillig zum Militärdienst meldet.
Und Vollie bleibt auf seine Weise der Volunteer, der gewissermaßen Unkaputtbare. Im barbarischen Vietnam-Krieg gerät er mit einem Trupp Marines in die Gefangenschaft des Vietcong. Das besonders Fatale daran – dies passiert auf kambodschanischem Staatsgebiet. Und da dort laut allen öffentlichen Bekundungen keinerlei US-Truppen weilen, gibt es keinerlei Versuche, die Gefangenen freizubekommen, sie werden vielmehr für tot erklärt.
412 elendige Tage Gefangenschaft im legendären Tunnelsystem des Vietcong durchleiden die Marines und – natürlich überlebt nur einer und das ist Vollie. Und da es ihn offiziell gar nicht mehr geben darf, sorgen Geheimdienstkreise für eine neue Identität mit Spitzeldiensten als Gegenleistung. So wird aus Vollie Frade nun Dwight Elliot Tilly und der siedelt sich im Städtchen Las Cruces, New Mexico, an.
So mäandert das überaus komplexe Geschehen durch die Jahrzehnte und die Zeitebenen. Obwohl so überaus zählebig, reicht es nie zu größeren Phasen echten Lebensglücks. Was dann auch für das Schicksal des Kleinen am Hamburger Flughafen gilt, Sohn eines psychisch nicht sehr stabilen Vaters, der sich als GI im künftigen NATO-Staat Lettland mit einer dortigen Schlampe einlässt.
Und während er bereits in Afghanistan dient, will auch die lettische Mutter den Jungen nicht mehr haben. Niemand in dieser geradezu kafkaesken Welt voller Schmerzen, Unglück, Leidensfähigkeit und schierem kreatürlichen Überlebenswillen darf hier auf Glück hoffen.
Geschrieben ist das Alles in einer dichten, grobkörinigen Prosa von spröder Sogwirkung. Dank der großartigen Übersetzung von Nikolaus Hansen und Bettina Abarbanell beeindruckt dieser freudlos-nüchterne Roman auch auf Deutsch. Fazit: ein großes Stück Gegenwartsliteratur, bei dem Elemente wie Fröhlichkeit, menschliche Wärme oder ein Happyend allerdings außen vor bleiben.

# Salvatore Scibona: Der Freiwillige (aus dem Amerikanischen von Nikolaus Hansen und Bettina Abarbanell); 558 Seiten; Berlin Verlag, Berlin/München; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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