NEAL STEPHENSON: CORVUS
MitCorvus legt US-Kultautor Neal Stephenson ein neues kiloschweres Meisterwerk
vor. Ein Roman, der seinesgleichen sucht und wenn er damit scheinbar seinen bisher
heftigsten Ausflug ins Action-Genre fortsetzt, trifft diese Einschätzung hier nur
ansatzweise zu.
Im Mittelpunkt stand bei Error (2012) der geniale Technologie-Freak Richard
Forthrast, genannt Dodge. Der machte mit dem weltweiten Onlinespiel T'Rain ein
Riesenvermögen, wirbelte aber auch regelrechte Kriege mit Russen-Mafia und anderen
lebensgefährlichen Organisationen auf. Hier nun geht es jedoch eher friedlich zu und der
legendäre Multimilliardär will sich lediglich einer Routineuntersuchung im Krankenhaus
unterziehen.
Die aber so unglücklich verläuft, dass nur noch sein Hirntod festgestellt werden kann.
Doch Dodge hatte schon früh ein ausführliches Testament aufgesetzt, dessen Vollstrecker
nun sein alter Freund Corvallis Kawasaki - C-plus genannt, später jedoch auch als Corvus
von großer Bedeutung umsetzen muss. Die Methoden von Ephrata Cryonics wurden zwar
dahin verändert, dass erst nur noch der Kopf und bald nur noch das Gehirn tiefgefroren
wird für eine Reanimation, sobald die Technologie entsprechende Möglichkeiten entwickelt
hat.
Erst 17 Jahre später gelingt Dodges geliebter Großnicht Sophie an der Princeton
Universität das entscheidende Experiment per Quantencomputer. Ins Leben wiedergerufen
wird allerdings nicht das reale Gehirn, vielmehr wird dieses gescannt. Das gilt zwar als
eine destruktive Methode, die Idee aber ist, künftig Gehirne im Rechner hochzuladen,die
dann digital gewissermaßen ein ewiges Leben erlangen.
So erwacht Dodges Gehirn: Er erlangte Bewusstsein. Das aber mit wenigen
Erinnerungsbruchstücken und kaum konkreten Mustern. Doch diese körperlose digitale
Existenz nennt sich nun selbst Egdod und aus dem gescannten Hirn entsteht mit ihm
der größte Gott des Ersten Zeitalters. Das jedoch existiert ausschließlich
in der virtuellen Bitworld.
Währenddessen geschehen auch in der Realwelt wilde Dinge bis hin zur nuklearen
Vernichtung der Stadt Moab in Utah. Die jedoch offenbar nur ein raffinierter Internet-Hoax
war. Und dann ist da noch der Milliardär Elmo El Shephard, der grandiose
Visionen von der Singularität pflegt, mittels derer technologisch ewiges Leben
ermöglicht würde.
El hat einst Ephrata Cryonics vor dem Aus bewahrt und weiterentwickelt. Und benötigt
dessen Hilfe jetzt selbst, da eine genetisch bedingte Krankheit sein Gehirn zu zerstören
droht. Womit er und Egdod einander in der Bitworld in die Quere kommen. Längst hat
Letzterer ein eigenes Universum nur aus Geisteskraft erschaffen. Das ist einerseits von
seinen Erinnerungsbrocken aus nordischer und griechischer Mythologie geprägt.
Andererseits wird das Alles zu einer biblisch angehauchten Fantasmagorie einer neuen
Genesis samt Adam und Eva.
Und damit ist dieser funkensprühende literarische LSD-Traum in voll ausufernder Blüte
angelangt. Da treffen sich Technologie und ScienceFiction mit Fantasy-Gedankengut und man
verliert sich geradezu in einem delirierenden Dschungel von faszinierenden Erzählwelten.
Wer es auf intelligente Weise verrückt mag, taucht mit Covus in ein höchst
anspruchsvolles Leseabenteuer ein.
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