JOHN GRISHAM: „DER POLIZIST“


Auch heute noch genießen Polizisten in den USA so etwas wie eine grundsätzliche Unantastbarkeit, wie die schweren Konflikte der letzten Jahre um ungeahndete Verfehlungen durch Cops belegen. Um so mehr aber war das vor 30 Jahre der Fall, zumal wenn dann auch so etwas im reaktionären Südstaat Mississippi passiert wie in John Grishams jüngstem Kriminalroman.
„Der Polizist“ lautet der Titel und gemeint ist Stuart Kofer, stellvertretender Sheriff in der Kleinstadt Clanton. Gleich zur Eröffnung kehrt der allgemein angesehene Ordnungshüter in sein Haus zurück und im Nu eskaliert einmal mehr der Streit mit seiner Partnerin Josie Gamble. Diesmal schlägt er so rabiat zu, dass sie mit zerschlagener Gesichtshälfte und gebrochenem Kiefer zusammenbricht.
Nun treiben ihn seine schwer alkoholisierten Sinne weiter ins Obergeschoss, wo sich Josies Kinder verschanzt haben. Sie können sich tatsächlich erfolgreich in Drews Zimmer verbarrikadieren. Dann wird es still und der 16-Jährige findet heraus, dass der Wüterich auf dem Bett liegt und in einen unruhigen Schlag gefallen ist. Die 14-jährige Kiera aber entdeckt viel Schlimmeres: die geschundene leblose Mutter.
In ihrer Panik bangen die Kidner vor dem garantiert furchtbaren Wiederauftauchen des Polizisten, den sie nur als schnell ausrastenden Berserker kennengelernt haben, seit sie mit ihrer Mutter bei ihm eingezogen sind. Und diese Panik schaukelt sich angesichts der vermeintlich toten Mutter derartig, dass Drew den Peiniger mit dessen eigener Dienstwaffe erschießt.
Mord an einem Polizisten, das kann nur eines nach sich ziehen, die Todesstrafe, egal wie alt der Täter ist. Richter Noose aber gehört nicht zu den Gesetzesvertretern, die diese simple Racheausübung von Amts wegen verfolgen. So beruft er den einzigen Pflichtverteidiger, von dem er sich eine auch noch so geringe Chance für den angeklagten Teenager vorstellen kann, Jake Brigance, Grisham-Lesern bereits einschlägig aus den Bestsellern „Die Jury“ und „Die Erbin“ bekannt.
Brigance sträubt sich allerdings aus gutem Grund gegen die undankbare Aufgabe ausgerechnet für einen Polizistenmörder. Außerdem steckt er gerade in einem lukrativen großen zivilrechtlichen Fall. Als er sich dann doch kümmern muss, sind die Begleitumstände noch heftiger als ohnehin zu erwarten. Die Kofer-Familie tobt gegen Drew Gamble und seinen Verteidiger, doch auch für die große Mehrheit der Bevölkerung kann es etwas anderes als ein klares Todesurteil gar nicht geben.
Es sind harte, unangenehme Monate durchzustehen, die Brigance privat und wirtschaftlich an seine Grenzen bringen. Dann endlich kommt das, was John Grisham in großer Meisterschaft schon von Berufs wegen beherrscht wie kaum ein Anderer: das dramatische Gerichtsverfahren mit all den Tücken und Absurditäten, die das Rechtssystem in den USA so weitgehend unberechenbar machen.
Wie immer hat der Bestsellerautor bis dahin längst ein illustres Personentableau ausgebreitet und natürklich gibt es diverse überraschende Wendungen. Fazit: ein Roman, der alle Erwartungen an diesen Autor für ein großes Lesevergnügen voll erfüllt.

# John Grisham: Der Polizist (aus dem Amerikanischen vopn Bea Reiter, Imke Walsh-Araya und Kristiana Dorn-Ruhl); 671 Seiten; Heyne Verlag, München; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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