KRISTINA HAUFF: UNTER WASSER
NACHT
Einmal mehr brütet Thies am Elbufer in rastloser innerer Unruhe. Hier aus dem Fluss hatte
man vor dreizehn Monaten seinen elfjährigen Sohn Aaron gefischt. Daheim ist Sophie wie
innerlich erstarrt. Der noch immer nicht nachvollziehbare Tod des Jungen bringt die
Zweisamkeit der Eltern an den Abgrund.
Mit Szenen der Beklommenheit beginnt denn auch Kristina Hauff ihren Roman Unter
Wasser Nacht. Der nicht ihr Debüt ist, denn unter ihrem Klarnamen Susanne Kliem hat
sie bereits etliche Krimis veröffentlicht. Und das Spiel von Spannung bis hin zur
Sogwirkung liegt ihr wirklich. Obwohl es hier die unausgesprochenen und doch so
offensichtlichen Konflikte sind, die die Luft schier vibrieren lassen.
Thies und Sophia leben seit 15 Jahren hier in der kargen Idylle des Wendlands und gleich
gegenüber haben sich Inga und Bodo ein Haus auf demselben Areal gebaut. Die Frauen sind
seit Studententagen enge Freundinnen und einst haben alle vier gegen die Atomtransporte
und anderes mehr protestiert. Inzwischen recht bürgerlich geworden, war die gemeinsame
Welt lange glücklich.
Bis auf den Umstand, dass Inga mit Lasse und Jella zwei prächtige Kinder bekam, um die
Sophie sie beneidete. Bis endlich auch sie Mutter wurde. Doch Aaron war fast von
Geburt an ein kleines Scheusal mit brutalem Jähzorn. Das so sehr zum Spaltpilz zwischen
Thies und Sophie wurde, dass sie sich als Mutter über solche insgeheimen Gedanken
grämte: Ich habe mir gewünscht, dass er nicht mehr da ist.
Um so heftiger sind die bohrenden Schuldgefühle jetzt, da er wirklich nicht mehr da ist.
Doch die Verbitterung entzweit auch die enge Freundschaft mit Inga und Bodo, deren
scheinbar so unbeschwertes Familienglück sie täglich unübersehbar vor Augen hat. In
diese vergiftete Atmosphäre platzt nun Mara, etwa im gleichen Alter wie die beiden Paare.
Was die hippiemäßig auftretende Frau, die angeblich aus Christiania, der legendären
alternativen Freistadt in Kopenhagen, kommt, hier will, bleibt rätselhaft. Und schafft
Misstrauen, denn sie mischt sich ungeniert in aller Leben. Sophie grollt, weil die Frau,
die sich in der nahen Waldhütte einnistet, ihrem Thies ein wenig zu gut gefällt.
Aber auch Inga findet es befremdlich, welch engen vertrauensvollen Kontakt Mara mit der
sonst so verschlossenen 13-jährigen Jella knüpft. Als ob die einst so herzliche
Hofgemeinschaft nicht so schon durch Neid und Abschottung völlig zu zerbröseln drohte.
Depressionen und Fluchtimpulse werden schier unerträglich, doch könnte ausgerechnet Mara
zum Katalysator werden?
In einem meisterhaften dramaturgischen Wechselspiel der Erzählperspektiven der einzelnen
Akteure fügen sich die Mosaiksteine mit immer neuen Wendungen erst allmählich zusammen.
Kristina Hauff baut ein komplexes psychologisches Geflecht von großer Sogwirkung auf und
alles macht Sinn und ist stimmig.
Immer weiter dreht sich die Spirale und während manche Geheimnisse überraschen, wird
nicht jedes Rätsel auch gelöst. Fazit: ein ganz großer literarischer Wurf mit klarer,
zielführender Prosa und Charakteren, die durchweg fesseln und überzeugen.
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