ALFONS KAISER: „KARL LAGERFELD“

 
Karl Lagerfeld (1933-2019) war schon als Schüler ein Einzelgänger mit Attitüde. Später sollte der Sohn aus liberal-großbürgerlichem Haus ein Meister der Selbstinszenierung und als Modeschöpfer schon zu Lebzei9ten eine Legende seiner selbst werden. Er beherrschte die Medien und erreichte im Alter einen geradezu ikonischen Bekanntheitsgrad.
Wer jedoch meint, man kenne diese überlebensgroße Figur, verkennt, wie wenig vom hartnäckig verborgenen Privatleben und jenen Feinheiten, die ihn zu dem werden ließen, der er war – oder vorgab zu sein – wirklich bekannt waren. Entsprechend aufschlussreich ist deshalb die Biografie, die Alfons Kaiser unter dem Titel „Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris“ verfasst hat.
Der Spitzenjournalist der FAZ hatte gegenüber anderen Biografen einen unschätzbaren Vorteil: er kannte Lagerfeld seit 1999 , hatte zahlreiche eingehende Interviews mit ihm. Außerdem gelang ihm die Sichtung vieler bisher unveröffentlichter Briefe und Faxe des Meisters selbst. Hinzu kamen Briefe, Notizen und einzigartige Familienfotos aus der Vorgeschichte und der Jugend Lagerfelds.
Er selbst war stets ein Mann, „der auf Distanz hielt“ und auch aus seinen jungen Jahren nur das bekannt gab, was ihm passte. Das war wenig und selbst die Altersangabe war getürkt, als er sich offiziell fünf Jahre jünger machte. Der Biograf hat dieses nebulöse Bild gründlich und erfolgreich revidiert bis in die Familienkonstellationen. Da war der recht alte Vater, der als „Glücksklee“-Erfinder ein erfolgreicher Kondensmilchhersteller und zugleich ein abwesender Vater war.
Dem Nicht-Verhältnis zum Vater stanbd die unterkühlte Mutter mit dem abgründigen und oft verletzenden Humor gegenüber, streng und dünkelhaft. Von diesen Eltern stammten ganz offensichtlich diese speziellen Gene, die Lagerfeld als Modeschöpfer und Unternehmer so markant auszeichnen sollten: der Hang zur hanseatischen Distanziertheit verbunden mit höchstem kaufmännischem Geschäftssinn sowie zur preußischen Haltung, wenn es um Strenge, Disziplin und Ehrgeiz ging.
Wie der 19-Jährige nach Paris kam, mit 20 einen Design-Wettbewerb gewann und dann eine schier unglaubliche, 65 Jahre währende Karriere als einer der bedeutendsten Modeschöpfer zu machen, das ist eine geradezu romanhafte Vita. Mit einem Star, der als narzisstischer Snob elitär auftrat und nicht nur die Welt verzauberte, sondern als einzigartiges Genie der Vermarktung alles zur Marke formte – vom eigenen Namen bis hin zu seiner Birma-Katze.
Und hier eröffnet sich das große Plus eines deutschen Biografen mit persönlicher Kenntnis dieses Dandys mit den stark ausgeprägten preußischen Tugenden: Alfons Kaiser zeigt ihn als Deutschen, der in Paris die Modegeschichte prägte und das mit einer gewissen stets präsenten Hamburger Grandezza. Zudem lässt Kaiser auf den messerscharfen Esprit des unermüdlich kreativen Berserkers deutlich werden.
Fazit: eine sehr detaillierte kritische Hommage an einen ebenso schillernden wie komplexen Vielbewunderten.

# Alfons Kaiser: Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris; 383 Seiten, div. SW-Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bio 437 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de