BLAKE GOPNIK: WARHOL. EIN
LEBEN ALS KUNST
Das erste Mal starb Andy Warhol am 3. Juni 1968 um 16.51 Uhr. Mit diesem
genialen Eingangssatz eröffnet der renommierte Kunstkritiker Blake Gopnik seine
monumentale Biografie zu dem Jahrhundertkünstler. Und deren Eingangskapitel mit dem
schier aussichtslos erscheinenden Ringen im den Angeschossenen erweist sich als packend
wie ein Thriller.
Warhols Freund David Bourdon sinnierte später sogar, der Anschlag auf ihn sei womöglich
Warhols größtes Kunstwerk gewesen. Das muss nicht zutreffen, doch das der bis zuletzt
Enigmatische die Grenze zwischen Künstler und Kunstwerk bewusst und gezielt überschritt,
belegt Gopnik ausführlich. Sieben Jahre intensiver Recherche, die Auswertung zahlreicher
bislang unzugänglicher Dokumente und hunderte von Interviews mit Freunden, Liebhabern und
Gegnern wurden Grundlage eines präzise ausgeleuchteten Porträts.
Der Titel Warhol. Ein Leben als Kunst trifft es wörtlich, wozu der Biograf
feststellt, dass der gelernte Werbegrafiker seine Persönlichkeit nicht etwa per Erlass zu
einem Kunstwerk erklärte: Er versuchte tatsächlich, eines daraus zu formen. Seine
Persönlichkeit sollte auf traditionelle modernistische Weise faszinierend, merkwürdig
und wie keine andere sonst sein.
Wie der schmale Sohn karpato-ruthenischer Einwanderer dies gezielt und schließ0lich auch
erfolgreich anging, beschreibt Gopnik detailliert und faktenreich. Wenn dabei dennoch
manches Annahme bleiben muss, hat das mit dem introvertierten, spröden und meist kühlen
Charakter Warhols zu tun, der trotz seiner Tagebücher ein unzuverlässiger
Berichterstatter seiner selbst war.
Mit seinem seltsam scheuen Charisma schuf der effeminierte schwule
Underground-Star, wie ihn ein Kritiker nannte, die legendäre Factory in
New York City. Avantgardistische Pop-Art, in der Suppendosen, Dragqueens und die
sensationell durchschlagenden Siebdrucke von Marylin Monroe, Mao Tse Tung und anderen
Ikonen jener Zeit sind bahnbrechende Geniestreiche. Hinzu kommen wegweisende
Underground-Aktivitäten als Filmemacher und Musikproduzent.
Doch Biograf Gopnik zeigt Warhol auch als Menschen mit Fehlern und Schwächen, mit Macken
wie seine Liebe zu Katzen oder sein aus der recht kargen Jugend herrührender
gefürchteter Geiz. Legende ist auch die große Schar von Liebhabern und von Claqueuren,
die ihn in der Hoffnung auf Karrieren umscharwänzeln. Und schließlich gibt es eine recht
fundierte Darstellung jenes 3. Juni 1968, als der gerade 40-Jährige von der
durchgeknallten Feministin Valerie Solanas niedergeschossen wird.
Ein Attentat, von der er sich nie ganz erholen wird und dessen Auswirkungen im Februar
1987 mitursächlich für seinen Tod nach einer Gallenoperation sind. Zu diesem Zeitpunkt
zählt der 58-Jährige längst zu den größten und einflussreichsten Künstlern des 20.
Jahrhundert und wird als solcher sogar auf eine Stufe mit Picasso gestellt. Und seine
Werke erreichen posthum spektakuläre Preissteigerungen und erreichen später teils
Marktpreise in Millionenhöhe.
Fazit: dies ist vermutlich die ultimative Biografie zu diesem in so vielen Farben
schillernden Ausnahmekünstler, sehr unterhaltsam geschrieben und auch ein faszinierendes
Stück Kulturgeschichte der 60er bis weit in die 80er Jahre.
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