VOLKER KUTSCHER: „OLYMPIA“


Berlin im Sommer 1936, im Wind flattern ungezählte Hakenkreuzfahnen neben ebenso vielen Olympiaflaggen. Das Nazi-Regime vibriert in den Tagen vor dem Weltereignis, in dem es sich staatsmännisch und zivilisiert präsentieren will. Da passt ein toter US-Schwimmfunktionär schlecht ins Bild. Um so weniger, wenn sich herausstellen würde, dass es kein natürlicher Tod war.
Für SS und Gestapo deutet alles auf eine kommunistische Verschwörung hin. Also rekrutieren sie den besten Kriminalisten der Berliner Polizei, Kriminaloberkommissar Gereon Rath. Der muss sich in der unter Heinrich Himmler gleichgeschalteten Polizei widerwillig beugen. Damit setzt auch dessen mittlerweile 8. Fall in Volker Kutschers Thrillerreihe um den eigenwilligen Schnüffler unter dem Titel „Olympia“ ein.
Augenzeuge des Sterbens von Walter Morgan war ausgerechnet Raths Pflegesohn Fritz, der als 15-Jähriger im Jugendehrendienst im Olympiadorf als Helfer mitwirken darf. Dass seine Idole allerdings die schwarzen Starathleten Jesse Owens und Dave Albritten sind, hat später noch unangenehme Folgen. Morgan aber starb in der Sportlermensa an einer Herzattacke, ausgelöst durch eine Digitalisvergiftung.
Gereon Raths größtes Problem in dem Fall jedoch sind zwei alte Bekannte: sein früherer Kollege Reinhold Gräf, jetzt als SS-Mann sein Vorgesetzter, und noch schlimmer sein alter Todfeind Sebastian Tornow, als SS-Obersturmbannführer mächtig, gefährlich und skrupellos. Dass dann anschließend gleich mehrere Wehrmachtsangehörige durch rätselhafte Unfälle umkommen, macht die Zusammenhänge noch undurchsichtiger.
Zugleich hat Rath auch privat Ärger, allem voran mit Ehefrau Charlotte. Er wurde dienstlich dazu verdammt, einem US-Olympiatouristen Unterschlupf zu gewähren. Worauf die überraschte Charly empört die gemeinsame Wohnung verlässt. Nebenher betreibt sie heikle Geschäfte mit ihrem Chef in dessen Detektei – sie schleusen heimlich gefährdete Bürger außer Landes.
Doch es kommen auch zwei wichtige US-Protagonisten ins Spiel, insbesondere die titelgebende Olympia Morgan, die Witwe des verstorbenen Fleischindustriellen. Die wenig Trauer zeigt, dafür jedoch um so mehr höchst undurchsichtige Power. Hinzu kommt der Ganove Abraham Goldstein, der nicht nur dubiose Geschäfte im Sinn hat und locker über Leichen geht. Während die allgegenwärtigen Nazis nach außen hin geradezu charmant alles für diese Propagandaschlacht geben, sind ihre Schergen intern von gnadenloser Brutalität und Niedertracht in einem längst perfide perfektionierten Spitzelstaat.
Was auch Rath immer mehr zu spüren bekommt, den der Versuch von Anstand bis auf die Abschussliste des Regimes bringt. Das System hat bereits alles durchdrungen mit seinem Geflecht von Verbrechen und Verstrickungen. Ein Wust von Geheimnissen und Heimlichtuerei durchzieht die gesamte Atmosphäre ebenso düster und unheilschwanger wie eine unterschwellige Angst.
Das Geschehen wird ständig komplexer und spannender, doch sei vom Finale nur so viel verraten: es wartet mit knalligen Überraschungen auf. Und mit welch genialem Dreh das alles endet, erfährt man nicht im Buch, sondern erst durch Presseaussagen des Autors – es wird gegen jede Wahrscheinlichkeit einen abschließenden Roman geben, der dann ins explosive Jahr 1938 führt.
Fazit: ein erneutes Meisterwerk der Spannungsliteratur mit faszinierendem Zeit- und Lokalkolorit insbesondere hinsichtlich der Olympiade 1936.

# Volker Kutscher: Olympiade; 541 Seiten; Piper Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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