ISABELLA HAMMAD: DER FREMDE
AUS PARIS
Mit einem gewaltigen Epos legt die in London aufgewachsene Isabella Hammad ihr Debüt als
Autorin vor und sie tut gut daran, ein Personentableau voranzustellen. Der Fremde
aus Paris ist nämlich ein Roman vor ganz realem Hintergrund und angelehnt an die
Lebensgeschichte ihres Urgroßvaters.
Dieser Midhat Kamal wird von seinem Vater aus dem palästinensischen Nablus zum Studium
nach Frankreich geschickt. Der wohlhabende Tuchhändler residiert in Kairo, seine neue
Frau aber will mit dem Halbwaisen nichts zu tun haben. Dem fernen Vater aber geht es
einfach darum, Midhat davor zu bewahren, dass ihn das Osmanische Reich angesichts des
soeben ausgebrochenen Ersten Weltkriegs zum Militär einberuft.
So erreicht der recht schüchterne und von der Großmutter wohlerzogene junge Mann
Montpellier, um dort Medizin zu studieren. Bald verliebt er sich unsterblich in Jeanette,
die selbstbewusste Tochter seiner Gastgeber. Als er jedoch entdeckt, dass ihr Vater, ein
Anthropologieprofessor, ihn quasi als Studienobjekt missbraucht und Jeanette das auch noch
unterstützt und ohnehin unerreicht bleibt, geht Midhat nach Paris.
Die so andersartige Kultur hat ihn bereits fasziniert, nun aber genießt er dazu auch ein
recht ausschweifendes Studentenleben. Ein Fremdling jedoch bleibt er trotz aller Umtriebe
und Liebschaften und seines gepflegten Auftretens als Paradebeispiel eines Pariser
Orientalen. Allerdings kommt er auch in Kontakt zu jungen arabischen Nationalisten aus
seiner Heimat, die hier 1911 die Al-Fatah gründeten.
Und die angehängte Zeittafel mit Schlüsselereignissen bei der Entstehung der
palästinensischen und syrischen Nationalbewegungen weist auf Prägungen Midhat Kamals aus
diesen Jahren hin. Entlang der aufkommenden und noch heute wogenden Konflikte zwischen
Palästinensern und den seit 1882 zunehmend ins Land strömenden Juden wird die
Entwicklung von 1914 bis zum großen arabischen Generalstreik von 1936 zur Szenerie des
Geschehens.
Midhat wird 1919 heimgerufen in ein Land, das von Briten und Franzosen als neuen
Machthabern beherrscht wird. Den arabischen Nationalbewegungen empört vor allem die
Zusage der britischen Regierung, die Entstehung eines eigenen staates der Juden zu
unterstützen. Während Freunde und Familienmitglieder teils erheblich in das sich
radikalisierende Aufbegehren involviert sind, führt Midhat in Nablus brav ein
Tuchgeschäft seines Vaters. Und natürlich heiratet er mit Fatimah eine anständige
Muslima, mit der er dann vier Kinder hat.
Doch so wie er einst in Palästina außer der strengen Großmutter keine wirklichen
Wurzeln hatte und in Frankreich als Gentleman-Araber stets nur ein Exot blieb, kann er im
zunehmend brodelnden Nablus auch nicht wieder Fuß fassen. Mag er auch ein wenig Frieden
mit Fatimah gefunden haben, so bleibt er hier wiederum gesellschaftlich stets der
titelgebende Fremde aus Paris.
Midhat Kamal als beinahe tragischer Protagonist ist eine eigentümlich leuchtende
Hauptfigur in dieser recht persönlich gehaltenen Palästina-Saga. Mitsamt der wild
bewegten politischen Dimension während und nach dem Verfall des Osmanischen Reichs
erzählt Isabella Hammad viel aus dem orientalischen Leben. Allerdings erzeugt sie mit der
großen Fülle ihrer Ausführungen auch ein Übermaß, das zu Längen führt. Ohnehin
fordert dieser Roman viel Geduld und zuweilen vermisst man eine gewisse Konturenschärfe
bei der Vielzahl der Protagonisten.
Insgesamt jedoch liegt hier ein anspruchsvolles Stück Literatur zu einem noch wenig
thematisierten Romanstoff vor. Dessen orientalisch üppige stilvolle Prosa im Übrigen in
Henning Ahrens einen hervorragenden Übersetzer gefunden hat.
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