ILJA LEONARD PFEIJFFER: „GRAND HOTEL EUROPA“


Als der feine Herr mit der altmodischen Mähne, dem Flair eines Gentleman alter Tage und von einer melancholischen Ausstrahlung am Grand Hotel Europa ankommt, passt er so just zu dessen Erscheinung wie Abdul, der livrierte Piccolo, der ihn vorm Portal empfängt.
Drinnen heißt mit Herr Montebello ein echter Majordomus alter Schule diesen niederländischen Schriftsteller Ilja Leonard Pfeijffer willkommen. Er kredenzt dem etwas korpulenten Herrn im besten Mannesalter eine Suite von verblühender Noblesse: „Hier hatte ein Übermaß an Geschichte desperat seufzende Spuren hinterlassen.“
Der solche Zitatjuwelen immer wieder in dem nun einsetzenden opulenten Roman aufblitzen lässt, ist der echte niederländische Erfolgsautor Ilja Leonard Pfeijffer, der sein namentlich identisches Alter Ego zum Ich-Erzähler eines ungeheuer vielfältigen Berichts macht, der im Kern eine Liebesgeschichte ist. Deshalb miete er sich ja auch in dieser von vergangener Grandezza angehauchten Edelherberge mit ihrem verblichenen Glanz und dazu passender illustrer Gästeschar ein.
Nachdenken will er und ein Buch schreiben, um zu ergründen, weshalb ihm seine große Liebe Clio abhanden gekommen ist. Und weil hier alles mit allem zu tun hat in diesem schillernden Kosmos lautet der Romantitel denn auch „Grand Hotel Europa“. Pfeijffer, der auch im wirklichen Leben gerade italiensüchtig ist und dort seit langem lebt, findet hier die einzigartige Frau in der hinreißend attraktiven Clio aus altem italienischen Adel. Man versteht die Faszination: „dass sie mich ihrer Nähe für würdig erachtete“.
Doch die Enddreißigerin ist ebenso kapriziös wie fordernd und ein wahrer Vulkan mit unberechenbaren Wutausbrüchen. Was der deutlich ältere Seigneur mit ihr in den erotischen Momenten erlebt, wird ausgesprochen hingebungsvoll und explizit geschildert. Dass es gleichwohl nie ins Schlüpfrige abgleitet, ist der meisterhaften Eleganz zu verdanken, mit der dieser Autor derartige Ausführungen beherrscht wie nur wenige sonst.
Die Beiden verbindet jedoch weit mehr als eine spontan begonnene und intensiv fortgesetzte Liebesgeschichte, denn Clio ist eine ehrgeizige Kunsthistorikerin und dem gebildeten Schriftsteller intellektuell absolut ebenbrütig. Und so widmen sie sich immer wieder der Kunst großer vergangener Zeiten und dies besonders hinreißend, als sie gemeinsam nach Venedig ziehen.
Eingebettet in zahlreiche Kunsterlebnisse zieht dann ein regelrechter Krimi durch den Roman: die Suche nach dem letzten, verschollenen Gemälde des berühmt-berüchtigten Caravaggio. Doch weit mehr als nur die Malerei alter Meister und die genialen Bauten der Renaissance durchziehen diesen ebenso sinnlichen wie kunstsinnigen Roman. Hinzu kommen die vielen illustren weiteren Charaktere wie der geschäftstüchtige „Große Grieche“, die militant feministische Dichterin Albane oder das kauzige Dokumentarfilmer-Duo aus den Niederlanden, das Pfeijffers beim Romanschreiben auf Film bannen will.
Wozu Clio ihm ein Buchthema kredenzt, das sich in scharfsinniger und oft bissig satirischer Weise mit den Auswüchsen des gerade hier grassierenden hemmungslosen Tourismus befasst. Wobei auch Herr Wang ins Spiel kommt, der neue chinesische Besitzer des Grand Hotel Europa. Der große Pläne für Neuerungen hat, die das edle Haus für asiatische Besucherscharen „europäisieren“ sollen. Da bricht sich ätzende Ironie bahn und der Autor glänzt mit geschliffenen Entlarvungen von grandioser Sprachgewalt.
Die aber auch den bissigen Wortgefechten des Liebespaares eine ebenso gepfefferte wie humorvolle Würze geben. Natürlich ist hier der viel zu innig liebende Ilja fast ausnahmslos in der Defensive, dennoch ist das Scheitern der Verbindung von überraschender Banalität. Und damit einerseits um so schmerzlicher für den Leidenden wie auch auf großartige Weise symbolisch für den Grundton, der den gesamten Roman färbt: das Grand Hotel Europa als Metapher für den Niedergang dieses Kontinents.
Wie er ins Schwelgen in seiner vergangenen Größe von den Zukunftsgierigen verdrängt zu werden droht. Und während ein Trip nach Absurdistan im realen zukunftstrunkenen Morgenland führt mit seiner nackten Glitzerwelt, der der Ich-Erzähler jede Ehrerbietigkeit verweigert, begegnet er zum Ende hin ein einziges Mal der geheimnisumwobenen einstigen Herrin des Grand Hotels.
Es war nach ihr benannt und als sie nun verblüht, heißt es bedeutungsschwer: „So wurde die alte Dame Europa zu Grabe getragen“. Und so hat alles zu allem gefunden und man empfindet Glück und Trauer beim letzten Satz, denn man hat sich an diesem prachtvollen Meisterwerk mit seiner brillanten Sprachzauberei – ganz großes Lob für Übersetzerin Ira Wilhelm! - längst regelrecht besoffen gelesen. Und ja, es ist üppig, anspruchsvoll und ungeheuer wortreich, aber man möchte kein einziges Wort davon missen.

# Ilja Leonard Pfeijffer: Grand Hotel Europa (aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm); 556 Seiten; Piper Verlag, München; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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