ZORA DEL BUONO: „DIE MARSCHALLIN“


„Dass Zora Del Buono eines unnatürlichen Todes starb, ist nicht verbürgt. Doch vieles spricht dafür.“ Die diese nüchternen Worte im Prolog ihres neuen Romans schreibt, heißt ebenfalls Zora Del Buono: die Verstorbene war die Großmutter der Schweizer Erfolgsautorin.
„Die Marschallin“ lautet der Titel, denn wie eine solche empfand diese Frau mit dem starken Charakter nicht nur die gesamte Familie. Bei aller Nähe zu echten Persönlichkeiten bis hin zu historischen handelt es sich hier dennoch um einen biografischen Roman. Dem zur besseren Übersicht ein Personentableau vorangestellt ist.
Die junge Slowenin Zora Ostan lernt 1919 in ihrem Heimatdorf Bovec den italienischen Sanitätsoffizier Pietro Del Buono kennen, mit eben 23 jüngster Arzt Italiens. Dass die Beiden schnell in heftiger Liebe Entbrannten dann heiraten, sorgt familiär für einige Empörung, sind die Italiener doch Feinde und als Besatzer hier.
Nach einem Zusatzstudium Pietros an der Berliner Charité zieht das junge Paar erst nach Neapel, um sich schließlich in Bari niederzulassen. Der Röntgenarzt wird ein Großer auf seinem Gebiet, während die feurige und ebenso großzügige wie auch herrische und eifersüchtige Zora für den Bau einer großen Villa sorgt.
Zora und Pietro pflegen dort ein bürgerliches Leben mit einem Hang zum Luxus. Das Pikante in diesen politisch so unruhigen 20er- und 30er Jahren ist jedoch Beider Neigung zum Kommunismus. Sie verehren nicht nur Antonio Gramsci, den Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens, den sie auch persönlich kennen – sie werden sogar Parteimitglieder. Weil sie Mussolini verachten und gegen dessen Faschisten kämpfen wollen.
Mit ihrem Lebensstil und ihren Ansichten wirken sie geradezu wie Salon-Bolschewisten. Wobei es für die Hausherrin überhaupt kein Widerspruch ist, dass sie das Dienstpersonal herrisch kujoniert. Das Alles ist prall vor Zeitgeschichte und Zora Del Buono ist mittendrin und versucht sogar mitzumischen. Zum hochverehrten Idol wird nämlich der jugoslawische Partisanenführer Josip Broz, der charismatische spätere Marschall Tito.
Nicht nur etliche Familienmitglieder Zoras sind auf teils schicksalhafte Weise ins Kriegsgeschehen und in die Nachkriegszeit eingebunden, Professor Pietro Del Buono hat mutmaßlich Tito sogar als Arzt das Leben gerettet. Und dann kommt es zu einem Verbrechen und zugleich zu Vorwürfen aus kommunistischen Parteikreisen gegen die Del Buonos.
Das Alles wird in starker Prosa mit packender Präsenz und souveräner Sprache geschildert. Ein breiter ebenso faktenreicher wie hochpolitischer Erzählfluss mit durchweg exzellenten Personenzeichnungen voller hinreißender Charaktere. Dennoch fehlt dem breiten Epos das doch irgendwo schlummernde Explosive.
Geht die bunte, geschichtsträchtige Familiengeschichte bisher gradlinig chronologisch bis ins Jahr 1948, erfolgt nun jedoch ein ebenso verblüffender wie überzeugender literarischer Kniff: der Sprung zum Februar 1980. Nun spricht die greise Marschallin höchst persönlich und das in einem sehr eigenen Ton, gallig, bitter, jenseits aller Illusionen. Sie lebt in einem Seniorenheim im slowenischen – jetzt jugoslawischen – Nova Gorica, nahe der einstigen Heimat.
Ehemann Pietro dämmert derweil völlig dement geworden in einem ähnlichen Heim in Bari. Sie aber ist hellwach und erzählt nun, warum sie sich gewiss ist, einer Unglücksfamilie anzugehören. Ob es die zuletzt auf sich geladene Schuld war oder einfach düstere Schicksalsfügung – gleich fünf Familienmitglieder kommen innerhalb weniger Jahre bei Autounfällen zu Tode. Als Letzter Sohn Manfredi, der Vater der Autorin Zora Del Buono.
Fazit: ein außergewöhnlicher Roman über eine einzigartige Frauenpersönlichkeit, die ihre ungeheuer bewegte Familiengeschichte mit einem grandiosen Schlussmonolog in Granit meißelt.

# Zora Del Buono: Die Marschallin; 380 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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