TOBIAS GOLDFARB: „NIEMANDSSTADT“


„Wenn ein Drache am Fernsehturm vorbeifliegt, ist es einfach. Dann bin ich drüben.“ Damit meint Jo, dass sie mal wieder in der Parallelwelt ist, sehr ähnlich ihrer Heimatstadt Berlin und doch auch ganz anders.
Das ist die „Niemandsstadt“ und lautet auch der Titel des ersten Jugendromans von Tobias Goldfarb, sonst unter anderem als Theaterautor bekannt. Jo ist 15 und heißt richtig Josefine, wird in der Schule aber als „Josef“ gemobbt, weil sie wie ein Junge aussieht, sehr introvertiert und eine Eigenbrötlerin ist. Und immer wieder gern per Zoning-out nach „nebenan“ wechselt.
Dort sieht vieles so normal aus, dass sie erst an Kleinigkeiten merkt, auf welcher Seite sie sich gerade befindet. Zum Beispiel wenn Regentropfen nach oben steigen oder ein kleiner Dämon ihr ins Ohr beißt. Die einzigen Lebewesen, die anscheinend ebenfalls zwischen der realen Welt und der Niemandsstadt wechseln können, sind die beängstigenden Krähen.
Doch neben Jo mit den etwas kauzigen Buchhändlereltern, die ihr Leben nach innen lebt, tritt als zweite Ich-Erzählerin die etwas ältere Eli auf, der glatte Gegensatz zu Jo. Sie lebt ihr Leben nach außen und inszeniert ihre gesamte Existenz als bombastische Seifenoper. Auch das Ereignis, dass die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen den Beiden schmiedet, hat dann wieder mit Jos speziellem Geheimnis zu tun.
Eli ist im Übrigen ein kleiner Star im neuen angesagten sozialen Netzwerk „Magick“, während Jo null Interesse an so etwas zeigt. Die Magick-Manie aber bekommt eine ganz andere Bedeutung, als die Schule für das Förderprojekt „Digital Lernen“ auserwählt wird und Istvan Korvusz sich persönlich vorstellt. Der Milliardär ohne Schulabschluss hat „Magick“ und auch den Computer „Nummer One“ erfunden.
Der kann alles besser als andere Computer: „Außer träumen vielleicht.“ Und der Guru lockt die Schüler, denn er brauche junge Menschen, die träumen können. „Das Denken besorgen bei uns die Maschinen.“ Als Jo dann offenbar in der Niemandsstadt verschollen ist, ahnt Eli ihr Geheimnis und versucht ihr zu helfen.
Als sie dabei Istvan Korvusz persönlich kennenlernt, wird ihr – wie zuvor schon Jo – klar, dass von ihm eine große Gefahr ausgeht. Ihm selbst bleibt es verwehrt, ins Nebenan zu wechseln, doch er hat seine ganz raffinierten Agenten – die Crowbots, gefährliche roboterartige Vögel, denn genau das sind die Krähen, die Jo schon von Beginn an Furcht eingeflößt hatten.
Es geht nun um nicht weniger, als dass diese Maschinenwesen darauf aus sind, der Parallelwelt die Fantasie zu rauben. Und dann kommt es zur Schlacht um die Niemandsstadt. Mehr aber soll hier nicht verraten werden, denn das Alles fesselt nicht nur mit einer sehr interessanten Fantasiewelt, die jenseitig, schräg und doch nicht weit von der Realität erfunden ist, sondern auch mit der ebenso verrückten wie intelligenten Handlung, die eine überaus tiefgründige Komponente hat.
Diese komplexe Verbindung von Fantasy und moderner Technik erinnert an eine Art Fortsetzung von Michael Endes Klassiker „Unendliche Geschichte“, gewissermaßen ins Jahr 2020 versetzt. Zu dieser faszinierenden Qualität komtm die klare einfache Sprache, die zugleich auf hohem Niveau und mit einiger Selbstironie daherkommt.
Fazit: da wäre auch ein Michael Ende gewiss begeistert und würde diesen hervorragenden Jugendroman nicht nur jungen Lesern ab 13 sondern auch erwachsenen Fantasy-Freunden empfehlen.

# Tobias Goldfarb: Niemandsstadt; 364 Seiten; Thienemann Verlag; € 15

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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