DEBRA JO IMMERGUT: DIE
GEFANGENEN
Frank Lundquist stand ohnehin im Schatten seines berühmten Vaters und dann unterlief dem
jungen Psychiater auch noch ein folgenschwerer Behandlungsfehler. Der ihn den Job und bald
auch die Ehe kostete. So darf er froh sein, nun mit 32 Jahren als Psychologe im New Yorker
Frauengefängnis Milford Basin praktizieren zu können.
Und da steht unversehens eine Patientin vor ihm, die zu Schulzeiten seine unvergessliche
Traumfrau war: Miranda Greene, aus gehobenen Kreisen stammend und einst mit besten
Zukunftsaussichten. Auch nach mittlerweile 15 Jahren hat sie nichts von ihrer Faszination
auf ihn verloren, wogegen sie keinerlei Erinnerung an den schüchternen Mitschüler von
damals hat.
Nun sitzt sie wegen Doppelmordes ein, für 52 Jahre und mit dem Urteilszusatz ohne
Aussicht auf vorzeitige Entlassung auf Bewährung. Entsprechend verfolgt sie nur
noch ein Ziel: schnellstens will sie Medikamente für einen weichen Abgang aus diesem
unwerten Dasein zusammenbekommen. Weshalb sie Frank Schlafstörungen und andere Probleme
vorgaukelt.
Damit beginnt Debra Jo Immerguts hochspannender Roman Die Gefangenen.
Inspiriert wurde die Journalistin dazu übrigens durch ihre Seminare für kreatives
Schreiben, die sie in Haftanstalten abhält. Hier nun entfaltet sie eine Art indirektes
Psychoduell, bei dem der zutiefst verunsicherte Frank rasend schnell die ethisch gebotene
berufliche Distanz zu seiner Patientin verliert und sich auf törischte Weise in eine
völlig einseitige Amour fou hineinsteigert.
Tief steigt die Autorin aber auch in den harten Gefängnisalltag ein mit all den
Hackordnungen und sadistischen Aufseherinnen und ihren Spielchen. Wer mit wem im Clinch
liegt und wie Miranda zumindest fast den geplanten Suizid schafft, das wirkt authentisch.
Doch der Wechsel zwischen Ich-Erzähler Frank und den Ausführungen aus Mirandas
Perspektive offenbart allmählich auch die Schicksale der Beiden, die jeder für sich von
schwerwiegenden Traumata aus ihrer Familiengeschichte geprägt sind.
Natürlich kommt der Moment, in dem Frank auch die letzten Grenzen überschreitet. Er gibt
sich nicht nur zu erkennen, er offeriert ihr sogar einen ebenso verlockenden wie irren
Entschluss die Flucht aus ihrer an sich völlig hoffnungslosen Situation. Dabei
weiß er nicht einmal, ob Miranda nicht doch zu Recht auf quasi ewig einsitzt.
In seinem Liebeswahn gilt nur noch eines: Erlösung mag seltsame Umwege erfordern.
Aber was zählt, ist das Endergebnis. Womit der Roman auf ein verwegenes Finale
zusteuert. Das bleibt bis zuletzt spannend und bietet noch allerhand Überraschungen. Und
wenn das Alles auch selbst für amerikanische Verhältnisse nicht so furchtbar realistisch
sein mag ein fesselndes und absolut filmreifes Lesevergnügen bleibt es allemal.
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