KLAUS-JÜRGEN BREMM:“70/71“


Im Juli vor genau 150 Jahren begann der Französisch-Deutsche Krieg von 1870/71. Angesichts seines spektakulären Verlaufs ist er in erstaunlicher Weise von der Geschichtsschreibung vernachlässigt worden, obwohl seine Auswirkungen und Folgen von prägender Bedeutung für die weitere Geschichte Europas war.
Um so verdienstvoller ist die eingehende und umfassende Gesamtdarstellung des Vorlaufs und des Krieges durch den Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm unter dem Titel „70/71 – Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen“. Bis zum Krieg war die Grande Nation unumstritten die erste Großmacht auf dem Kontinent und dies insbesondere auch angesichts militärischer Erfolge in der Zeit nach Napoleon Bonaparte.
Preußen als Hauptmacht im Norddeutschen Bund dagegen galt militärisch allenfalls als zweitrangig. Sein Ministerpräsident Otto von Bismarck aber war mit der durch den Sieg von Königgrätz 1866 gegen Österreich erreichten Situation sehr zufrieden. Allerdings sorgte er sich wegen einer Annäherung zwischen Frankreich und den Habsburgern. Drohte hier eine antipreußische Allianz?! Und der ebenso gewiefte wie skrupellose Realpolitiker zog ein raffiniertes Ränkespiel auf, zu dem ihm die spanische Thronfolge die ideale Vorgabe kredenzte.
Neuer König sollte Prinz Leopold werden, katholischer Spross aus einer Nebenlinie der Hohenzollern. Frankreichs Kaiser Napoleon III. war strikt dagegen, schon wegen der dadurch vermeintlich drohenden Einkreisung durch dieses deutsche Herrscherhaus. Napoleon, dem wenig „Fortune“ nachgesagt wurde, gelang es, den biederen und überängstlichen Preußenkönig Wilhelm I. erfolgreich zu einem Verzicht zu bedrängen.
Und lief dabei in die von Bismarck gestellte Falle, als er nach der Verzichtserklärung von Leopold die eine Forderung zu viel stellte: der König sollte den Verzicht auf die spanische Krone für „ewig“ deklarieren. Die ablehnende Erklärung Wilhelms verschärfte Bismarcks drastisch und ließ sie am 14. Juli 1870 als „Emser Depesche“ veröffentlichen. Was für die empörten Franzosen nur die Alternative Demütigung oder Krieg ließ.
Prompt erfolgte am 19. Juli die französische Kriegserklärung und Historiker Bremm stellt dazu fest: „Bismarck hatte doch noch gewonnen. Mit Glück, Geschick und Skrupellosigkeit hatte er das seltene Kunststück fertiggebracht, einen Präventivkrieg zu beginnen und dabei Frankreich den präventiven Schlag führen zu lassen.“ Das Gebaren der Franzosen sorgte zudem dafür, dass die süddeutschen Staaten nun geschlossen ihrer durchaus nicht sicheren Beistandspflicht nachkamen.
So standen auf deutscher Seite – auch dank der hier eingeführten allgemeinen Wehrpflicht – für den Kriegsfall 433.000 Mann zur Verfügung gegenüber nur knapp 300.000 französischen Berufssoldaten. Diese hatten zwar das bessere neue Gewehr, die deutsche Seite aber setzte vor allem auf eine massive moderne Artillerie und wies in der Truppe ein hohes soldatisches Niveau auf.
In ihrer Selbstüberschätzung und Realitätsverleugnung kam es auch mangels einer konkreten Kriegsstrategie sowie auf Grund der starken Dislozierung von Truppen und Ausrüstung auf Seiten der Franzosen bereits gleich zu Beginn des Krieges zu einem Aufmarschfiasko. Die deutschen Armeen dagegen kamen dank eines klaren Plans und der konsequenten Nutzung der Eisenbahn zu einem atemberaubend zügigen Aufmarsch an der französischen Grenze.
Im Folgenden gelang es den Preußen und ihren Verbündeten unter Hellmuth Graf von Moltke, eine Vereinigung der beiden großen französischen Armeen zu verhindern. Und die Konzeptlosigkeit des französischen Militärs, das unfähig für einen modernen Bewegungskrieg war, führte dazu, dass die deutsche Seite keine der über 20 Schlachten verlor.
Aus denen die von Sedan am 1. und 2. September herausragte und in die Geschichte einging: eine ganze Armee wurde hier eingeschlossen und gefangen genommen und mit ihr sogar der Oberbefehlshaber Kaiser Napoleon. Zudem gelang dieser Triumph, obwohl ein erheblicher Teil der deutschen Truppen nicht einmal eingegriffen hatte. Klaus-Jürgen Bremm schildert hierzu nicht nur viele Gefechtsverläufe, sondern stellt immer wieder auch die konkreten Umstände in den Truppen einschließlich ihrer generell schwachen medizinischen Versorgung vor.
Die militärische Katastrophe von Sedan führte in Paris zum Umsturz und zur Ausrufung der III. Republik unter Leon Gambetta. Damit war der Krieg aber noch lange nicht zu Ende, vielmehr kam es zur fünfmonatigen Belagerung der Hauptstadt. Immerhin stampfte die neue Republik eine Armee von fast 600.000 Mann aus dem Boden und die hätte bei klügerer Verwendung den deutschen Sieg durchaus noch gefährden können.
Bremm beleuchtet auch kurz den sogenannten „Aufstand der Pariser Kommune“, der nach der Kapitulation der Hauptstadt am 28. Januar 1871 ausbrach und bis zur Niederschlagung durch Regierungstruppen über 20.000 Tote kostete. Aber auch die Folgen des gesamten Krieges werden beleuchtet, denn am 18. Januar 1871 wurde im Spiegelsaal von Versailles der preußische König zum Herrscher des zweiten Deutschen Kaiserreichs gekrönt – was im Übrigen kein Kriegsgrund Bismarcks gewesen war.
Frankreich aber verlor nicht nur mit 139.000 Gefallenen dreimal so hohe Verluste wie die deutsche Seite, sondern auch die Provinzen Elsass und Lothringen. Vor allem jedoch verlor es die Vormachtrolle in Europa, die es seit dem Dreißigjährigen Krieg innegehabt hatte. Gewonnen wurden dagegen für den gesamten Kontinent 43 Jahre Frieden.
Fazit: eine hervorragende Gesamtdarstellung des folgenreichen Krieges inmitten Europas, der insbesondere dank Otto von Bismarcks Raffinesse nur diese beiden Gegner miteinander ringen ließ. Das ist ebenso spannend wie detailliert ausgeführt, einzig – hier wären mehr Karten und eine Zeittafel wünschenswert gewesen.

# Klaus-Jürgen Bremm: 70/71 – Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen; 335 Seiten, div. Abb.; wbg THEISS, Darmstadt; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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