SARA SLIGAR: ALLES, WAS ZU
IHR GEHÖRT
Ausgerechnet ein komplexer Psychothriller und dann ein solch brillantes Debüt: das gelang
der US-Autorin Sara Sligar mit dem Roman Alles, was zu ihr gehört. Es beginnt
mit einer Art Flucht, als Kate Aitken von New York nach Kalifornien fliegt, um einen
Neustart ihres Lebens zu versuchen.
Die 30-Jährige war eine aufstrebende Journalistin, doch der sexuellen Übergriffigkeit
ihres Vorgesetzten nicht gewachsen. Was damit endete, dass die psychisch Labile ihren Job
verlor und nun froh ist, einen Auftrag als Archivarin ergattert zu haben. Im
Küstenstädtchen Callinas kann sie bei der bemutternden Tante Louise und dem
indifferenten Onkel Frank wohnen. Was trotz der nervigen Begleitumstände günstig ist, da
ihr Einsatzort nahebei liegt.
Der attraktive aber unnahbar kühle Theo Brand hat Kate engagiert, um die
Hinterlassenschaft seiner Mutter zu sichten und zu archivieren. Sie war die berühmte
Fotografin Miranda Brand, die sich vor 24 Jahren vor diesem seither nicht mehr bewohnten
Haus erschossen hatte. Nach dem Tod ihres Ehemannes Jake, der als Maler ebenfalls eine
gewisse Berühmtheit erlangt hatte, ist Theo in diesem Sommer erstmals wieder hier.
Mitgebracht hat der Alleinerziehende seine beiden kleinen Kinder.
Kate soll nun eine wüste Ansammlung von Schriftstücken Mirandas von Briefwechseln bis
hin zu Quittungen ordnen, um daraus ein Findbuch für eine letzte große Auktion
hinterlassener Werke zu fertigen. Kate wühlt sich in die Arbeit und entdeckt eine
manische Künstlerin mit komplexen Wesenszügen, der ihre Kunst über alles ging.
Bald schon erwacht Kates altes journalistisches Jagdfieber, zumal der spektakuläre
Selbstmord auch nach so vielen Jahren noch zweifelhaft erscheint. Böse Zungen behaupten
sogar, der damals elfjährige Theo könnte seine Mutter erschossen haben. Kates Obsession
lässt sie Grenzen überschreiten, als sie heimlich das Haus durchsucht und Mirandas
verstecktes Tagebuch liest.
Es reicht von Theos Geburt bis zum Todestag und allmählich entsteht ein verwirrendes Bild
von maßlosem künstlerischen Ehrgeiz und unheilvollen Beziehungsgeflechten. So drastisch
Miranda ihre Kunst einerseits zu immer neuen Meisterwerken vorantrieb und bis zu
sechsstellige Preise damit erzielte, litt sie zugleich an den maskulinen
Unterdrückungsmechanismen.
Und während Kate einerseits den Verlockungen Theos wie eine Verdurstende erliegt, zeigen
die Puzzlesteine aus Mirandas Leben, dass diese nach dessen Geburt eine so schwere
Psychose entwickelte, dass sie sich schließlich selbst für zwei Monate in eine
psychiatrische Klinik begab. Auch danach war sie in guten Tagen nur eine abweisende
Mutter, bei schlechten Anwandlungen aber sogar ein hasserfüllte.
In einem steten Hin und Her von Heimlichkeiten und Lügen ermittelt Kate
Widersprüchliches. Die Depressionen der Künstlerin forcierten laut Tagebuch eine immer
verhängnisvollere Spirale, zugleich wird offenbar, wie sehr Miranda und Kate sich
einander in ihren massiven psychischen Störungen ähneln. Und trotz kalifornischen
Sommers durchzieht eine Düsternis das Haus.
Zwischen Panikattacken und erotischem Verzehren zu einem Mann, der möglicherweise seine
Mutter getötet hat, stößt sie auf eine dunkle fatalistische Feststellung bei deren
letzten Eintragungen: Manchmal fühlt es sich an, als gäbe es mich schon mein Leben
lang nicht. - Ob die letzten Zweifel über das Ende dieses Lebens noch gelöst
werden, sei hier nicht verraten.
Aber sehr wohl, dass dieser exzellent ausgeklügelte Roman bis zuletzt ungemein fesselt
und seine Geheimnisse nur in kleinen Dosierungen offenbart. Zur Raffinesse gehört dabei
der spannungstreibende Wechsel zwischen der Gegenwart Kates und den Quellen aus der
Vergangenheit, die Miranda eine eigene Stimme geben. Im Übrigen sorgen auch die
hervorragenden Charakterzeichnungen bis in die Nebenrollen hinein für ein an Intensität
kaum zu überbietendes anspruchsvolles Lesevergnügen.
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