FANG FANG: „WUHAN DIARY“


„Nun irrten unzählige Erkrankte in eisiger Kälte durch Sturm und Regen in der Stadt herum, auf der vergeblichen Suche nach medizinischer Behandlung.“ Solche unmittelbare Eindrücke direkt aus dem Geschehen mitten in der Coronoakrise aus dem Ort, wo alles seinen Anfang nahm, hielt die vielfach preisgekrönte chinesische Erfolgsautorin Fang Fang in ihren täglich ins Internet gestellten Blogs fest.
Nun liegen dieses gesammelten Meldungen als Buch auch auf Deutsch vor und berichten unter dem Titel „Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“ von einer einzigartigen Heimsuchung. Die Blogs der 64-Jährigen, die als Diabetikerin selbst zu den Risikogruppen gehört, hatten schon vor Ausbruch von Covid19 über 3,5 Millionen Follower. Während der Zeit der großen Quarantäne verzehnfachte sich diese Zahl, obwohl die Zensurbehörde stets innerhalb der ersten Stunde nach Veröffentlichung die Meldungen kappte.
Der erste Blog dieses Tagebuchs ist vom 25. Januar 2020, seit zwei Tagen ist die Metropole mit ihren neun Millionen Bürgern komplett abgesperrt. Das bedeutete nicht weniger, als dass die Ansteckungsgefahr des neuen Coronavirus „ein extrem ernsthaftes Stadium“ erreicht haben musste. Die Atmosphäre ist angespannt, die Menschen sind bedrückt und es herrscht ein allgemeines Gefühl von Panik und Ungewissheit.
Gewiss ist nur, dass an diesem Neujahrsfest, eben diesem 25. Januar, an dem sonst Millionen von Chinesen zu Familienfesten zusammenkommen, die Straßen der Metropole leergefegt sind und die Fallzahlen explosionsartig steigen. Im November 2019 hatte es eine erste Meldung über eine neuen Lungenkrankheit gegeben, die sich im Dezember zweifelsfrei als „neues Corona-Virus“ erwies. Bereits am 31. Dezember erfolgte eine entsprechende Information an die WHO.
Erst am 20. Januar 2020 jedoch – es gab mittlerweile hunderte Infizierter – bestätigte der schon bei der Bekämpfung der SARS-Epidemie von 2003 bekannt gewordene Lungenspezialist Zhong Nanzhan, dass Covid19 bei einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen von Mensch zu Mensch übertragbar sei. Da standen längst Schlangen vor den Krankenhäusern, in denen das Personal mangelhaft geschützt und bis über die Kapazitäten hinaus gegen die Seuche ankämpfte.
Mit für chinesische Verhältnisse erstaunlich offenen kritischen Worten prangert die Bloggerin die schweren Fehler und Versäumnisse der Behörden an, insbesondere aber den Parteisekretär und den Direktor des Zentralkrankenhauses. Und sie weiß, von was sie spricht, denn sie steht im Austausch mit Ärzten, Klinikpersonal und Betroffenen.
Doch Fang Fang vermeidet nicht nur sogenannte „empfindliche Wörter“, die die Zensurbehörden aus politischen oder moralischen Gründen sofort verfolgen würden. Sie vermeidet ja auch Kritik an Peking und tatsächlich sorgen die bald von ganz oben angeordneten drastischen Maßnahmen und Hilfen für ein langsames Abflauen der Epidemie. Allerdings schreibt die Autorin auch von Kollateralkatastrophen wie die vom 8. März, als das als Quarantänestation genutzte Xinja-Hotel einstürzt und es zahlreiche Opfer gibt.
Immer wieder berühren einen die Ausführungen über die Hilflosigkeit und Ängste der Menschen insbesondere in den ersten Tagen des allgemeinen rigorosen Lockdowns. Absperrungen und Ausgangssperren quälen: „Das Schlimmste ist, ich weiß nicht, wann das zu Ende geht.“ Insgesamt 76 Tage dauert die Abriegelung und 60 davon hat Fang Fang mit ihren ungefilterten Berichten aus der großen Belagerung begleitet.
Das ist weder alles konkret verifizierbar noch erhebt es Anspruch auf literarische Qualität. Der hohe Wert dieses Wuhan-Tagebuchs liegt im sehr umfassenden direkten und zeitunmittelbaren Einblick in den ersten Corona-Hotspot und seine Leidensgeschichte. Zugleich offeriert das Buch einerseits eine gewisse Übersicht über den Ausbruch der Pandemie und deren Fortentwicklung, andererseits aber auch spannende Blicke in eine abgeschottete chinesische Metropole im Ausnahmezustand.

# Fang Fang: Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt (aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann); 349 Seiten; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 25

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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