MATTHIAS UHL u.a.:“DIE ORGANSIATION DES TERRORS“


In den 90er Jahren wurden Heinrich Himmlers Diensttagebücher der Jahre 1941 und 1942 entdeckt. Für die Zeit bis zum Kriegsende schienen diese Unterlagen aus dem Büro des eiskalten Massenmörders jedoch verschwunden zu sein. Bis sie 2003 im Zentralarchiv des russischen Verteidigungsministeriums in Podolsk auftauchten.
Herausgegeben wurden sie nun im Auftrag des Deutschen Historischen Instituts Moskau unter dem Titel „Die Organisation des Terrors. Die Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945“. Tatsächlich erstrecken sie der offizielle Dienstkalender, der von Himmler eigenhändig geführte Tischkalender und das Buch mit den Telefonnotizen vom 1. Januar 1943 bis zum 14. März 1945 fast lückenlos über 804 Tage.
Diese Rohdaten wären aqllerdings nur wenig aufschlussreich, hätte man die Einträge nicht mit den jeweils angemerkten Treffen, Aktivitäten und Ereignissen unterfüttert. Dieser große komplexen Aufgabe unterzogen sich die Historiker Matthias Uhl, Thomas Prischwitz, Martin Holler, Jean-Luc Leleu und Dieter Pohl unter Mitarbeit von Henrick Eberle und Wladimir Sacharow. Sie griffen dabei auf Quellen verschiedener Archive zurück, so unter anderem auf Himmlers Korrespondenz einschließlich seiner Befehle und Anordnungen.
Vorab gibt es einen umfassenden Abriss über Wesen und Wirken des „Managers des Terrors“, der mit nicht mal 40 Jahren als „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ ungeheure Macht innehatte und mit noch weiter zunehmender Machtfülle und großer Ämterhäufung im Berichtszeitraum der mächtigste Mann im Dritten Reich gleich nach Hitler war.
Nach Untersuchung der Historiker offenbart der Dienstkalender des eher unauffälligen und ziemlich unsportlichen Mann aus geordneten bürgerlich-katholischen Verhältnissen als eine üble Charaktermischung. „Himmlers Dienstkalender zeigt einen intriganten, kleinlichen, pedantischen, nachtragenden, schulmeisterhaften, verbissenen und mitunter skurrilen Bürokraten, der zusammen mit zahlreichen Komplizen täglich Mord und Gewalt plante auf ausführen ließ.“
Die Tag für Tag verzeichneten Eintragungen samt den akribisch recherchierten Fakten dazu unterstreichen insbesondere, wie Himmler drei Dinge umtrieben: die Wahnidee vom neuen „Germanismus“, die eigene Machterweiterung und allen voran die Judenvernichtung.
Intensiv und mit immer neuen Ideen – und dafür mit dem Führer ganz derselben Überzeugung und von diesem auch deshalb sehr geschätzt – trieb er die Eliminierung der Juden Europas voran. Er besuchte persönlich Venrichtungslager und Ghettos. Und hielt dann die unüberbietbar infame Posener Reden, wo er drei stunden lang bis zum „Halsweh“ - so die Eintragung im Tischkalender – seinen zynischen Hass ausbreitet.
„Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“ Und Himmler selbst legte viel wert auf die Würdigung als „der Anständige“.
Verdeutlicht wird aber auch seine sehr erfolgreiche Art der Menschenführung nach dem Prinzip der direkten Führung. Und die Furcht, die er in den eigenen Reihen auf hohem Niveau zu halten wusste: „Kennt jeden! Hat ein Mordsgedächtnis.“ Doch es gibt auch persönliche Macken in den Kalendern zu entdecken: die überaus häufigen Friseurbesuche und dass er als unmilitärischer Langschläfer nie vor 9 Uhr und oft noch viel später aufstand – was er penibel genau mit Uhrzeit vermerkte.
Bleibt das Private, für das angesichts der Ämterhäufung des Kontrollsüchtigen immer schmaler ausfiel. Ehefrau und Tochter am Tegernsee besuchte er 1943 und 1944 ganze 17 mal. Deutlich häufiger waren da die „Inspektionsreise“, „unterwegs“ oder gar nicht vermerkten Abwesenheiten, die ihn zur Dauergeliebten in der Nähe führten. Sogar die beiden gemeinsamen Kinder erkannte er als seine an. Kleinbürgerliche Bräuche wie Weihnachten überbrückte er im Übrigen mit Dienstreisen, wie auch Sonntage fast immer Arbeitstage für ihn waren.
Fazit: ein Klotz von einem Buch, inhaltlich widerwärtig wegen des Sujets, ansonsten aber ein hochklassiges historisches Werk, das als Standardwerk zum Thema NS-Regime auf jeden Fall unverzichtbar ist.

# Matthias Uhl u.a.: Die Organisation des Terrors. Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1943-1945; 1148 Seiten; Piper Verlag, München; € 48

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS) 

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: SB 444 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de