LIZ MOORE: LONG BRIGHT
RIVER
Ihren vierten Roman unter dem Titel Long bright River eröffnet die
amerikanische Erfolgsautorin Liz Moore damit, dass ihre Heldin Mickey Fitzpatrick zu spät
zum Dienst als Streifenpolizistin kommt. Sogleich muss sie mit ihrem neuen Partner
Lafferty zum Fundort einer ermordeten Prostituierten ausrücken.
Doch mag das auch vordergründig ein Krimi, ja ein ausgesprochener Polizeiroman mit Mickey
als Ich-Erzählerin sein, ist es doch weit mehr als das. Schauplatz ist Kensington, einst
ein prosperierender Stadtteil der Millionenstadt Philadelphia, längst aber zu einem der
berüchtigsten Schwerpunkte der in den USA grassierenden Opioid-Krise geworden.
Drogenkriminalität und Prostitution feiern in den heruntergekommenen einstigen
Geschäftsvierteln düstere Urständ und kaum ein Polizist kennt sich hier besser aus als
Mickey. Sie ist selbst hier aufgewachsen, ihre Mutter starb hier als Drogensüchtige. Und
wenn die 32-Jährige von sich selbst sagt, sie sei arm aber nicht dumm, so bremst dennoch
ein gewichtiger Umstand jeglichen Ehrgeiz, mit ihren Talenten zur Kriminalbeamtin
aufzusteigen: ihre etwas jüngere Schwester Kacey.
Schon als Teenager wäre die um ein Haar an einer Überdosis gestorben. An der Nadel
hängt sie aber noch immer und sie finanziert es wie all die Wracks in Kensington mit
ihrem Körper. Schon lange haben sich die Schwestern entzweit, zugleich bleibt Mickey der
Jüngeren wie ein mütterlicher Schutzengel stets auf den Fersen. Um so mehr beunruhigt es
sie nun, als sie Kacey tagelang nicht mehr entdecken kann, während offenbar gerade ein
Serienkiller Drogennutten ermordet.
Entgegen der Gleichgültigkeit ihrer weit überwiegend männlichen Kollegen forscht sie
selber weiter in diesem berüchtigten Pfuhl nach. Dabei eckt sie immer wieder an, wie sie
ohnehin ausgesprochen emotional reagiert. Und allmählich gräbt sich dieser wuchtig
packende Roman auch in die Tiefen des Familiendramas ein. In die seit Generationen
schwierigen Verhältnisse, in eine familiäre Brache, die von der gefühlskalten
Großmutter offenbar noch zusätzlich folgenreich vergiftet wurde.
Dabei scheint Kacey die böse Frucht zu sein und Mickey die gute, doch so simpel sind
Licht und Schatten hier nicht verteilt. Auch in Mickeys Vita schlummern dunkle Geheimnisse
und in Liz Moores schnörkelloser, zielsicherer Prosa bereiten nicht nur der aufziehende
Spätherbst mit rauen, kalten Winden ein Frösteln.
Und selbst wenn zum Schluss ein Kind geboren wird, so offenbart es einen nur brüchigen
Schimmer von Hoffnung, denn es ist das Kind einer Drogensüchtigen und es muss sofort
gegen Entzugserscheinungen sediert werden. Fazit: ein exzellenter, aber bis auf den Grund
authentischer und deshalb sehr düsterer Gesellschaftsroman.
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