THOMAS SPARR: „TODESFUGE. BIOGRAPHIE EINES GEDICHTS“


„Todesfuge“ ist eines der berühmtesten und auch wirkmächtigsten Gedichte der Weltliteratur. Sein Autor Paul Celan (1920-1970) war ganze 24 Jahre alt, als er es in seiner Heimatstadt Czernowitz (heute Ukraine) niederschrieb. Es jähren sich jetzt als sein Geburtstag zum 100. und sein Freitod in Paris zum 50. mal.
1949 hatte der deutsche Philosoph Theodor Adorno es öffentlich als „barbarisch“ bezeichnet, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben. Und dann erschien 1952 die „Todesfuge“ und setzte der barbarischen Judenvernichtung durch die Nazis ein zutiefst treffendes, ebenso monolithisches wie grandioses Mahnmal. Geschrieben hatte Paul Antschel, wie Celan damals noch hieß, diese Zeilen von allerdüsterster Magie unter dem Eindruck der Ermordung seiner Eltern im Lager.
Wie sehr jedoch kein nur empfundener Schmerz als Auslöser hier die Feder geführt hat, belegt Thomas Sparr mit seiner großen Analyse unter dem Titel „Todesfuge. Biographie eines Gedichts“. Der Literaturwissenschaftler und ausgewiesene Celan-Kenner legt zunächst dar, aus welch einer kulturgeprägten Celan entstammte – Czernowitz brachte solche bedeutende deutschsprachige Dichter und Schriftsteller wie Rose Ausländer und Gregor von Rezzori hervor. Und auch der junge Celan war nicht nur ein Sprachgenie, schon als Teenager schrieb er erste Lyrik.
Keines seiner Werke sollte jedoch jemals eine solche einzigartige Wucht und Wirkung entfalten wie die „Todesfuge“, deren bitteren Gesang er mit der unvergleichlichen Zeile begann „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends/wir trinken sie mittags und morgens wie trinken sie nachts“. Fast spielerisch erscheinen manche der verstörenden Metaphern und sind doch zutiefst böse in ihrer Schönheit.
Und Sparr erläutert, wie real das Geschehen hinter all den Metaphern und Bildern wirklich war: die jüdischen Lager, wo auch seine Eltern umkamen, erlebten die Geigen, denn die spielten nicht nur zu den Orgien der SS-Lagerleitung auf – es gab das Todesorchester wirklich und dessen „Todestango“ - so auch der ursprüngliche Titel des Gedichts – wurde gespielt, um die Massenerschießungen zu übertönen. Ebenso gab es die Hunde („seine Rüden“), die auf das Zerfleischen von Menschen abgerichtet waren.
Sämtliche Bildelemente führt der Literaturwissenschaftler auf die präzisen historischen Entsprechungen zurück. Ein meisterhaft Gedicht, dass die gesamte Shoah umfasst und in beinahe spielerischer Galligkeit den Schuldigen auf ewig mit der Feststellung brandmarkt: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“.
Nach einem ersten publizistischen Fehlschlag 1948 erschien dieses Jahrhundertgedicht dann 1952 in dem Gedichtband „Mohn und Gedächtnis“. Im selben Jahr erlebte Celan ausgrechnet von deutschen Schriftstellern eine durch nichts wiedergutzumachende Schmähung. Er war Gast beim Treffen der Gruppe 47 und sein Lesevortrag einschließlich der „Todesfuge“ wurde nicht nur nicht ernst genommen, ihm selbst sagte man sogar wegen seiner Vortragsweise einen Tonfall wie Goebbels nach.
Ohnehin ein Mensch mit übersensibler schwieriger Psyche, trafen ihn später auch Plagiatsvorwürfe ausgerechnet zu seinem Großwerk schwer. Einzige wirkliche Leihgabe war jedoch eingestandenermaßen das Bild der „schwarzen Milch“, das seine ihm wohlbekannte Kollegin Rose Ausländer 1939 erstmals in einem bereits 1939 veröffentlichten Gedicht verwendet hatte.
Doch diese Biographie des Celan-Gedichts widmet sich neben dessen Entstehung und Bedeutung sowie der komplexen Vita des Dichters auch der schwierigen Rezeption in deutschen Landen. Und Thomas Spaar stellt dazu fest: „Die 'Todesfuge' ist ein Störenfried der deutschen Literaturgeschichte“. Fazit: dieses Sachbuch ist eine großartige Hommage an ein Gedicht, das mit packender Magie das Grauen einer ganzen Epoche in Granit gemeißelt hat.

# Thomas Sparr: Todesfuge. Biographie eines Gedichts; 334 Seiten, div. SW-Abb.; DVA, München; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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