ELIZABETH STROUT: DIE LANGEN
ABENDE
Das ist eine gute Nachricht: es gibt ein Wiedersehen mit Olive Kitteridge aus Crosby ander
Neuenglandküste in Maine. Vor gut zehn Jahren wurde ihr erstes Auftreten in Elizabeth
Strouts Roman Mit Blick aufs Meer mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Etwa diesen Zeitsprung macht nun auch Die langen Abende und die kratzbürstige
ehemalige Mathematiklehrerin Olive ist nicht nur älter sondern auch wuchtiger in ihrer
Erscheinung geworden. Ihren übermäßig gutmütigen Ehemann Henry hat sie vor zwei Jahren
verloren. Zur Eröffnung des Romans aber wird Jack Kennieson vorgestellt, der sich
sarkastisch als alter Mann mit Hängebauch sieht.
Früher in Harvard war er als Professor eine attraktive, einschüchternde Erscheinung. Nun
aber mit 74 und seit sieben Monaten verwitwet, grummelt er nach einer Prostata-Operation
über Zwänge durch Inkontinenz. Und er sehnt sich nach einem Wiedersehen mit dieser
knorrigen Olive, die er vor einigen Monaten flüchtig kennengelernt hatte. Schließlich
galt für sie beide in gleichem Maße: Die Abend nahmen dieser Tage kein Ende.
Wie sie nun zusammenrücken, das hat wenig mit Romantik zu tun, denn es gilt so viel Zeit
zu füllen in den ereignisarmen Tagen des Alters. Was sie bewegt, ist dieses gemeinsame
Interesse am Nichtalleinsein und das in etwa auch Augenhöhe. Zudem Beide zwar Kinder
haben, doch: Sie mögen uns nicht sehr.
Entsprechend schwierig sind diese Beziehungen. Jacks lesbische Tochter lebt bewusst auf
der anderen Seite des Kontinents. Olives Sohn Christopher könnte zwar in wenigen
Fahrstunden aus New York herkommen, gleichwohl hat sie ihn seit fast drei Jahren nicht
mehr gesehen und ihren jüngsten Enkel noch gar nicht. Als Chris dann doch mitsamt Ehefrau
und mitgeheiratetem wie auch gemeinsamem Nachwuchs zu Besuch kommt, befand Olive ganz
schnell nüchtern: Es waren grässliche Kinder.
Obendrein wird es ein haariger Abschied nach drei mühsam durchgestandenen Tagen, denn
Olive erklärt dem Sohn, dass sie Jack heiraten werde. Der Weg dieser beiden Alten
zueinander wird herrlich dargestellt und wirkt so authentisch, wie auch alle übrigen
zwischenmenschlichen Beziehungen mit präzisem Blick sehr lebensnah beschrieben werden.
Immer wieder fügt die Erfolgsautorin ganze Geschichten anderer Familien der Kleinstadt
ein, teils ganz ohne Beteiligung von Olive und Jack, aber ebenso fesselnd. Ganz
unsentimental werden die Wahrheiten hinter den Dingen aufgedeckt und die vielen Lügen,
mit denen sie verborgen werden. Selbst das neue lebenserfahrene alte Ehepaar spricht nicht
alles Wahrheiten aus.
Dennoch erlebt Olive einige Jahre eines späten kleinen Glücks, bis Jack eines Nachts
überraschend das Zeitliche segnet. Und die Geschichte vom Altwerden und Altsein geht noch
einige Jahre weiter, bis auch die eigenwillige und stets auf Unabhängigkeit beharrende
Olive ihr persönliches Waterloo nur knapp überlebt: einen Herzinfarkt.
Doch selbst diese Abschlusskapitel bleiben durch die lebensnahe Sprache mit dem lässigen
Sarkasmus ein Lesegnuss, der durchaus seine tragischen und bitteren Momente hat und
dennoch nie larmoyant wird. Fazit: ein wunderbar kluges Buch über das Leben, das es auch
im Alter schlicht und einfach zu leben gilt.
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