AXEL SIMON: EISENBLUT
Berlin-Romane gibt es zuhauf, einen solchen aber hat es noch nie gegeben: die
Reichshauptstadt im sogenannten Drei-Kaiser-Jahr 1888. Hier setzt Axel Simon, unter
anderem bekannt als Opern-Intendant, den Auftakt für eine historische Kriminalserie mit
dem abgetakelten Privatdetektiv Gabriel Landow.
Eisenblut lautet der Titel und zur Eröffnung gibt es einen Knaller, wie man
ihn von 007-Filmen kennt. Dann aber ist erst einmal Geduld angesagt, denn der Autor
bereitet genüsslich das Figurenpanoptikum aus und garniert es auf faszinierende Weise mit
ganz viel Zeit- und Lokalkolorit. Da schlägt sich der heruntergekommene Grafensohn aus
dem Ostelbischen mit kleinen Seitensprung-Schnüffeleien durch Leben.
Zu den Mitstreitern des leidenschaftlichen Cointreau-Trinkers zählen der Kaschemmenwirt
Koester und seine schwulen Freunde und bald noch ein besonders wichtiger, der
kleinwüchsige einarmige Taschendieb Orsini. Landows einziger aktueller Fall ist die
Beschattung des Ministerialbeamten Gürtler, der regelmäßig zu einer bestimmten Nutte
geht und danach jeweils kurz zu einer anderen, dubiosen Wohnung. Doch dann kommt ein
nächtlicher Umweg und plötzlich knallt Landow der Beschattete vor die Füße.
Wortwörtlich, auf einem Truppenübungsgelände und offenbar aus einem Fesselballon
abgeworfen. An die Hand gebunden wiurde dem Toten Grimms Märchenbuch mit einer Markierung
darin. Wie Landow über einen Freund in der Pathologie herausfindet, ist Gürtler schon
der dritte Ermordete mit einem solchen Anhang. Der Leser weiß bis hierher bereits, dass
die seltsamen Morde ausgerechnet von einer attraktiven und sehr sportlichen Dame ausgeübt
wurden. Ein Fräulein Rosenkranz, wie Landow später auf pikante Weise körpernah in
Erfahrung bringt.
Vorher aber wird er plötzlich entführt und ist unversehens mittendrin in einem
Spionagefall auf höchster Ebene, denn er findet sich wieder in der Geheimsektion
der Reichskanzlei und ihn als völlig unwahrscheinlichen Anwärter macht man zum
Sonderermittler im Staatsauftrag. Offenbar geht es um wichtige militärische Geheimnisse
wie Unterwasserschiffe.
Von Beginn an läuft im Übrigen ein Countdown, der die letzten Tage Kaiser Friedrichs
III. anzeigt, der mit Kehlkopfkrebs dem Ende entgegensiecht. Eine Entwicklung, die manchen
hohen Stellen sehr genehm ist, denn während die blühende Metropole wie das gesamte Land
im 17. Jahr nach der Reichsgründung vor Stolz und Kraft kaum noch laufen kann
trotz des bleiernen Wartens auf den zweiten Kaisertod in diesem Jahr gibt es
mächtige Kreise, denen der lange Frieden ein Dorn im Auge ist.
Man verspricht sich große Geschäfte durch einen möglichst baldigen Krieg in Europa.
Weshalb sie auf infame Weise kriminelle Aktivitäten arrangieren, denn: Unruhe ist
der Humus für Destabilisierung. Besonders wichtige Drahtzieher treffen sich dazu im
abgeschotteten Congo Club mit der angeschlossenen Abteilung für liederliche
Vergnügungen. Und für Landow ist es ein Glücksfall, dass es gelingt, den herrlich
verschlagenen Orsini dort als Diener einzuschleusen.
Die Schauplätze wechseln spannungstreibend und auch die Junkersfamilie derer von Landow
und Rückblicke in Jugendzeiten spielen eine Rolle. Immer wieder wird es brandgefährlich
und quasi nebenher aber mit einer deftigen Schlusspointe treibt noch ein
Serienkiller sein Unwesen, Dieser Vorläufer von Jack the Ripper leidet im Übrigen unter
der unbegreiflichen Nichtbeachtung seiner Werke. Diese Achterbahn exzellent
miteinander verwobener Ereignisse findet ihr großes, schlüssiges Finale mehr aber
sei hier nicht verraten.
Fazit: Eisenblut ist ein hinreißender Berlin-Roman und zugleich ein
vielfältiger Kriminal- und Spionagethriller. Deftig, frech und respektlos und teils mit
bärigem Humor, aber auch mit kleinen wunderschön poetischen Farbtupfern, bietet Axel
Simon ein wahres Labsal an taufrischer und höchst authentisch aufbereiteter Erzählkunst.
Und man darf sich am Schluss freuen, denn der nächste Landow-Fall ist schon in Arbeit.
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