ISOLDE & HANS CHRISTINA CARS:
MAUERFLIEGER
Als der schwedische Student Hans Christian Cars 1965 mit einer Studiengruppe vom
außenpolitischen Institut Stockholm mit dem Zug nach Prag unterwegs ist, bekommt er in
Ost-Berlin ein Problem, das zu einer folgenschweren Begegnung führt. Im einzigen fast
freien Zugabteil sitzt eine sehr hübsche junge Dame, die von dem zu viel hat, was ihm
fehlt: eine Platzkarte.
Isolde Giese aus Neuruppin, Medizinstudentin in der Hauptstadt der DDR, ist auf dem Weg zu
Freunden in Ungarn. Es funkt zwischen den Beiden, man sieht sich wieder und kommt sich
immer näher. Doch seit vier Jahren ist Berlin durch die Mauer geteilt und die ganze DDR
völlig abgeschottet. Selbst als Schwede hat Hans Christian jedes mal allerlei Hürden zu
überwinden, um seine große Liebe zu besuchen.
Als sie sich schließlich heimlich verloben, ist für Beide klar: heiraten und Kinder
haben wollen sie, aber in der DDR zu leben kommt nicht in Frage. Also Flucht, aber wie?
Fest steht, dass sie die auf eine Art gemeinsam umsetzen wollen, bei der jeder das
annähernd gleiche Risiko trägt. Das heißt, kein einseitiges Vorgehen Isoldes aber sich
auch nicht von einem Fluchthelfer abhängig machen.
So wird schließlich die verrückte Idee geboren, es per Flugzeug zu wagen, als
Mauerflieger. Und das ist auch der Titel des Buchs, das Isolde und Hans
Christian Cars herausgebracht haben, denn sie haben den Vorsatz tatsächlich in die Tat
umgesetzt. Noch im Herbst 1965 meldete sich der 26-Jährige als Flugschüler an und im
Augu8st 1966 hatte er die Fluglizenz. Am intensivsten hatte er dabei Tiefflüge und
Landungen mit schnellem Durchstarten geübt.
In der berechtigten Hoffnung, dass der Eiserne Vorhang zwischen Österreich und der CSSR
nicht ganz so hermetisch abgeriegelt wäre wie an der deutsch-deutschen Grenze, baldowerte
er einen Fluchtweg aus, der ebenso tollkühn wie naiv war. Auf tschechischer Seite sollte
Isolde an einem kleinen See warten, bis er zu ihr fliegen und sie aufnehmen würde. Schon
das Anmieten der Cessna 175 und die ersten Erkundungsflüge wurden zur Herausforderung
für den unerfahrenen Piloten.
Und dann telegrafiert er die verschlüsselte Botschaft an Isolde am 19. August bei
Brünn soll es geschehen. Doch bei so vielen Unwägbarkeiten muss ja etwas schiefgehen.
Der erste Flug klappt nicht wegen eines aufziehenden Gewitters. Aber auch beim zweiten
fliegt er reichlich spät in die aufziehende Dunkelheit , rammt fast einen der
Grenzwachtürme und findet nur mühsam den Acker, auf dem Isolde in der Kälte zittert.
So clever und tollkühn das Alles ausgedacht war, so bezeichnen sich die Beiden nicht erst
heute angesichts dieses irrwitzigen Abenteuers als Glückspilze. Auch der Weg
zum deutschen Pass und schließlich 1967 bis zur Hochzeit war dann noch etwas holprig.
Gleichwohl wurde das Paar sehr glücklich und lebt im 52. Jahr ihrer Ehe in Wien, nachdem
beide in ihren Berufen höchst erfolgreich waren.
Diese wahre Geschichte einer besonders spektakulären Flucht aus der DDR ist aber nicht
einfach nur absolut filmreif, sie ist auch ein hervorragendes Zeitdokument. Mit der
Unaufgeregtheit des zeitlichen Abstands berichten die beiden Ich-Erzähler nicht nur sehr
detailliert. Den besonderen Reiz machen auch die verschiedenen Sichtweisen des Studenten
aus der freien Welt und der jungen DDR-Bürgerin aus, die für ein außerordentlich
authentisches Zeit- und Lokalkolorit sorgen.
Fazit: diese Geschichte musste unbedingt erzählt werden und sie passt bestens zum 30.
Jahrestag des Falls jener Mauer, die das Paar damals überwinden musste.
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