JOHANNES WILLMS: DER GENERAL.
CHARLES de GAULLE UND SEIN jAHRHUNDERT
Zwei mal war Charles de Gaulle der Retter der Grande Nation und schon deshalb halten ihn
viele Franzosen für mindestens so bedeutsam für ihr Land wie Ludwig XIV. und Napoleon.
Wer dieser großgewachsene, sprachmächtige Militär und Politiker wirklich war, hat der
Historiker und Publizist Johannes Willms jetzt zum 50. Jahrestag des Endes der Ära de
Gaulle untersucht.
Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert ist die Biografie
überschrieben. Von der Familie her in einer royalistisch-katholisch-nationalen
Gedankenwelt aufgewachsen, machte der blitzgescheite Sohn aus der gehobenen Mittelschicht
eine steile Karriere als Offizier. Mit Eigensinn und Arroganz machte er sich jedoch zum
verhassten Außenseiter und nicht zuletzt dieses anmaßende Auftreten führte Anfang 1940
dazu, dass seine nach dem deutschen Blitzkrieg gegen Polen verfasste kluge Analyse über
Die Zukunft der mechanisierten Streitmacht bei Generalstab und Politik auf
Schweigen und Ignoranz stieß.
Als der deutsche Angriff dann Frankreich überrollte, zeigte de Gaulle zwar einige Bravour
an der Front, die aber erfolglos blieb. Faktisch aufgestiegen zum Kriegsminister, setzte
er sich kurz vor der Kapitulation nach London ab und das offenbar mit einer festen Vision.
Autor Willms beschreibt in spannenden Zügen und Analysen den Alleingang des Generals ohne
tatsächliche Legitimation mit der berühmten Radioansprache vom 18. Juni 1940 die
gewissermaßen auch der Beginn des sogenannten Gaullismus war und wie de Gaulle mit
der Unterstützung Churchills das Komitee Francais Libres aus dem Boden
stampfte.
Das war auch völkerrechtlich ein komplexes Gebilde, doch mit dem früh entwickelten
Selbstbewusstsein und unbeugsamer Entschlossenheit gegen erhebliche Widerstände setzte er
sich durch. Als er 1944 im Triumph ins befreite Paris einzog, galt er nicht nur als der
Retter der Nation, es gelang ihm sogar, mit als Sieger am Tisch der
Viermächteverhandlungen über Deutschlands Schicksal mitzubestimmen.
Als Frankreich später nach den demütigenden Niederlagen in Indochina (1953) und im
Suez-Krieg (1956) und dann durch die Wirren um Algerien in den Bürgerkrieg zu stürzen
drohte, holte man de Gaulle zum erneuten Retter der Nation und dem gewieften Taktiker, der
glänzend auf der Klaviatur von Intrigen, Bluffs und Kalküls zu spielen verstand, bekam
nicht nur die Staatskrise in den autoritären Griff, ausgerechnet er trennte sich von
langjährigen Überzeugungen hinsichtlich der Kolonialmacht und löste gegen massive
Widerstände das Algérie Francaise auf.
Und es war der Patriot und Nationalist, der sich mit Parlamntarismus und Pressefreiheit
schwer tat, der mit seiner certaine idée de la France (einer gewissen
Vorstellung von Frankreich) gegen die zerstrittene IV. Republik durchsetzte. Er schuf die
heute noch bestehende V. Republik und deren Verfassung trug ganz seine Handschrift und
schuf ihn ein nahezu monarchisches Präsidentenamt.
Es hatte dann etwas Tragisches, wie die Macht des großen Alten, der sich bis zuletzt für
unverzichtbar hielt, unter den gesellschaftlichen Umbrüchen zerbröselte, die in den
Unruhen vom Mai 1968 ihren Höhepunkt hatten. Seine Selbstinszenierungen funktionierten
nicht mehr und längst zum politischen Fossil erstarrt, rieb er sich zuletzt in
politischen Scharmützeln mit seinem unausweichlichen Nachfolger Georges Pompidou auf.
Die Umstände des Finales standen in keinem Verhältnis zur Größe des Helden
stellt Johannes Willms angesichts des misslungenen Abschieds de Gaulles von der
politischen Bühne fst. Starrsinnig beharrte er im Juni 1969 auf der Durchsetzung eines
Referendums und drohte im Falle des Scheiterns seinen sofortigen Rücktritt an. Doch das
Volk folgte mehrheitlich nicht mehr dem Mann mit dem ziemlich unverhohlenen
Amtsverständnis eines Ludwig XIV.: Der Staat bin ich.
Der Biograf ist dieser bewegten Vita mit ebenso viel Respekt wie nüchterner
Wissenschaftlichkeit gefolgt. Nie unterlag er den Versuchungen einer Hagiografie, vielmehr
konfrontiert er die Reden und die Memoiren de Gaulles mit den historischen Fakten und
deckt so manche sehr eigene Sicht das Generals auf, der schon früh begann, an seinem
eigenen Mythos zu arbeiten.
Fazit: eine meisterhaft gelungene souveräne Biografie zu einer der größten aber auch
komplexesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
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