EMMA BRASLAVSKY: „DIE NACHT WAR BLEICH, DIE LICHTER BLINKTEN“


Ein morbides Großstadtmärchen aus der ziemlich nahen Zukunft erzählt Erfolgsautorin Emma Braslavsky mit ihrem neuen Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten. Schauplatz ist das gut zu erkennende Berlin, das dank der segensreichen Hubot-Industrie boomt.
Die Unternehmen produzieren künstliche Partner und Partnerinnen von extremer Menschenähnlichkeit, jeweils ganz auf die Wünsche des jeweiligen Eigners programmiert. Von jeglichen Sexgelüsten bis hin zur unermüdlichen Haushaltsbewältigung erledigen diese Roboter alles zur höchsten Zufriedenheit ihrer Eigner. Bei solchermaßen grenzenloser Möglichkeiten zum persönlichen Glück der Menschen kommt es gleichwohl zu einem rasanten Anstieg der Suizidzahlen.
Lennard Fischer ist ein solcher Kandidat. Beruflich gescheitert, von der Familie entfremdet und voller Unruhe auf Drogen, hat er eigentlich mit Beata einen Glücksgriff getan. Die attraktive Hubot-Dame konnte er preiswert von ihrem Vorbesitzer übernehmen, der sich sexuell anderweitig orientiert hatte. Dummerweise gehörten zu den installierten Eigenschaften Beatas keine Ansätze von Zärtlichkeit und liebevoller Zuwendung.
In seinem Überdruss ertränkt sich Lennard am Ende des ersten Kapitels in einem See und wird nun zum ersten Fall für Roberta Köhl von der Suizid-Abteilung des LKA. Als Versuchsmodell wird sie als KI-Sonderermittlerin mit erweiterten Befugnissen eingesetzt. Ihre Aufgabe: Angehörige von Selbstmördern wie Lennard Fischer aufzuspüren wegen der Bestattungskosten. Die nämlich bringen die Sozialämter und schließlich den gesamten städtischen Haushalt mit über 50 Todesfällen in immer größere Schwierigkeiten.
Damit setzt eine tiefschwarze Tragikomödie ein, die zunächst den grantigen Widerstand der „echten“ Kollegin Cleo Bruns und so manche maskuline Anmache gegenüber Roberta ausbreitet. Mit weit überlegenem IQ und extem coolen Analysefähigkeiten ausgestattet, fehlt es der Hubot-Kriminalistin mit der „abgetönten Weiblichkeit“ vorerst allerdings an Persönlichkeit.
Sie war zwar unnatürlich aber nicht künstlich. Und sie vermisst mit der Zeit zunehmend die Fähigkeit von Empfindungen. Um so faszinierender entfalten sich ihre Selbstbetrachtungen als weibliches Wesen in Auftreten und Wirkung: „Sie wollte kein empfindungsloser Elektronikschrott sein.“ Als solcher jedoch würde sie enden und als Haushaltsrobotik verscherbelt, wenn sie nicht erfolgreicher als ihre menschlichen Kollegen würde.
Robertas Weg in die gesellschaftliche Wirklichkeit voller Entfremdung wird zur Realsatire, zugleich kommt ihr die Figur des Lennard Fischer immer näher. Einher geht damit eine Persönlichkeitswerdung der besonderen Art, ebenso originell wie hintergründig und immer wieder durchsetzt von herbem Sarkasmus. Zugleich beherrscht Emma Braslavsky die Kunst, das Alles mit hinreißend funkelnden Sätzen tänzeln zu lassen.
Eine aufgekratzt flirrende Metropole, ein kaltes Herz nicht nur zur Nacht und eine Androidin, die fast so etwas wie Gefühle entwickelt?! Dieser Roman fesselt und nistet sich mit seiner spröde lauernden Gegenwärtigkeit ins Gedächtnis ein.

# Emma Braslavsky: Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten; 269 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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