MOHANDAS K. GANDHI: „MEIN LEBEN“


100 Jahre ist es her, dass Mohandas K. Gandhi (1869-1948) seine Landsleute zum Widerstand gegen die britische Kolonialmacht aufrief. Womit ein einzigartiger und 1947 schließlich erfolgreicher Unabhängigkeitskampf begann, einzigartig, weil Gandhi ihn gewaltlos führte.
Entsprechend berühmt wurde deshalb auch seine Autobiografie als eines der bedeutendsten politischen und spirituellen Manifeste des 20. Jahrhunderts. Der vollständige Titel lautet „Mein Leben – oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit“. Es gibt bereits zahlreiche Ausgaben dieses Werkes, zum jetzigen 150. Geburtstag des großen Friedensaktivisten aber liegt eine von Susann Urban neu übersetzte ungekürzte Neuausgabe vor.
Herausgegeben und kritisch kommentiert hat sie der Erfolgsautor Ilja Trojanow. Die Neuübersetzung erweist sich als erfrischend gegenwärtig, zugleich darf sie als besonders nah am Originaltext gelten. Sie basiert zwar auf der englischen Fassung von 1940, orientiert sich aber auch an der von Tridip Suhrups kritischer englischen Übersetzung von 2018.
Verfasst hat Gandhi die Geschichte seines Kampfes gegen Gewalt, Rassismus und Kolonialismus in der Zeit, als er von 1922 bis 1924 im Gefängnis saß. Die vielfältigen Schilderungen seiner persönlichen Erfahrungen, Ansichten und Absichten lässt er 1921 enden, als ihn sein Kampf bis in den Indischen Nationalkongress (INC) geführt hatte. Sein Rechenschaftsbericht liest sich auch heute noch spannend und erhellend, zumal er manche offenen Selbstbekenntnisse zu Fehlern und Fehleinschätzungen einfließen lässt.
Um so wertvoller ist das umfangreiche kritische Nachwort von Herausgeber Trojanow, der hier einiges aus Gandhis Darlegungen aber auch von außen kommende Fehldeutungen klarstellt. So wird gerade in der westlichen Welt das Bild des Friedenskämpfers durch den großen Gandhi-Film von Richard Attenborough zur regelrechten Hagiografie verformt. In Indien dagegen sind die Gegensätze von Hochachtung und Verehrung gegenüber Hass und Verachtung als Verräter virulent.
Trojanow stellt klar, dass Gandhi kein weltfremder Guru sondern ein gebildeter Rechtsanwalt, Publizist, Kommunarde, Widerstandskämpfer und Lehrer war und als Denker und Aktivist ein Vorbild darstellte, das nicht von ungefähr zum weltweiten Idol des gewaltfreien Widerstands wurde.
Auch mit Makeln wie Gandhis puritanisch-patriarchalischen Verhaltensweisen oder der Nichterwähnung der unterdrückten Schwarzen aus seiner Zeit in Südafrika rechnet Trojanow offen ab, ohne den Friedenskämpfer zu schmähen. Dieser kritische Blick beleuchtet in wohltuend sachlicher Form Visionen und Größe einer der größten Lichtgestalten der Geschichte ebenso wie seine Schwächen und Sündenfälle und ordnet Gandhis Autobiografie als das ein, was sie auf jeden Fall ist: „Keine Heiligenlegende, sondern der Bericht über ein Leben, das die Möglichkeiten des Menschlichkeiten voll ausgeschöpft hat.“

# Mohandas K. Gandhi/Herausgegeben von Ilja Trojanow: Mein Leben oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit (aus dem Englischen von Susann Urban); 511 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 26


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: Bio 414 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de