HAJO STEINERT: „BLUMENSPIEL


Am 18. Mai 1908 bricht Heinrich Karthaus von seinem Heimatdorf Engelskirchen im Bergischen Land auf nach Cöln am Rhein. 20 Jahre ist er alt, wegen seiner vom Vater erlernten besonderen Fertigkeit wurde er daheim „der Rosenschmied“ genannt, doch nun hat der Vater wie zuvor schon die Mutter sich umgebracht und hier in der tiefsten Provinz gibt es kein Halten mehr für ihn.
Damit setzte Hajo Steinerts neuer Roman „Blumenspiel“ ein. Mit einem Strohhut auf dem Kopf und seinem Schmiedehammer im Rücksack – aber auch die üppige Barschaft von 2360 Reichsmark aus dem Verkauf der geerbten Schmiede – stolpert er schüchtern und naiv hinein in die für ihn völlig fremde Großstadt. Da hupen Automobile, es kreischt von der Straßenbahn, Cöln ist hochmodern laut und schier unfassbar für ihn.
Zum Glück hat er eine Adresse in der Südstadt von einer Bekannten seiner Eltern. Else Römer ist ein paar Jahre älter als er und arbeitet als Lehrerin an der Handelshochschule. Bei ihr wohnt er nun als sogenannter „Zimmerherr“ und sie mildert seinen Kulturschock ein wenig. Der bleibt dennoch niederschmetternd, denn die Metropole am Rhein lärmt und wächst rasant.
Wie Heinrich die Stadt vorsichtig erkundet, allmählich Gefallen an den vielen Kneipen findet und mit offenen staunenden Augen durch die Viertel streift, das schafft ein faszinierendes Zeit- und Lokalkolorit, das nicht nur Köln-Kenner begeistern dürfte. Und der Autor sorgt dafür, dass alles authentisch bleibt bis hin zu den Fahrten mit der Elektrischen, dem sensationellen Flug des Zeppelin über den Rhein und dem katastrophalen Einsturz beim Bau der Südbrücke.
Und es gab den „Lärmschutzverband Köln“ wirklich, der sich damals recihsweit etablierte gegen Industrie- und anderen Lärm. Bei einer der Versammlungen im „Früh“-Brauhaus begegnet Heinrich dann der zwei Jahre jüngeren Näherin Hedwig. Sehr hübsch, impulsiv und berechnend, betört sie ihn im Nu, hat aber ihre sehr eigene Geschichte, in der er trotz aller Bemühungen nicht die Hauptrolle spielt.
Allerdings setzt sie auf ihn als Beschützer, den sie schließlich einmal „erhört“ hat, als sie von etwas ganz Verwegenem hört: dem Monte Verita. Auf diesem „Berg der Wahrheit“ in der Nähe des schweizerischen Ascona soll es eine Art freisinnige Künstlerkolonie geben, in der man gänzlich ungezwungen und glücklich leben kann. Womit der zweite Teil des Romans beginnt und wiederum vor historischem Hintergrund und mit teils realen Persönlichkeiten spielt.
Tatsächlich treffen der schmachtende und sehr eifersüchtige Henri Cartouse – wie er sich wegen seiner Kunstschmiederei aber auch Malkünste inzwischen nennt – und die flatterhafte Hedwig auf allerlei schräges Tun. Inmitten dieser Schar von Schwärmern, Lebensreformern, Urkommunisten, Spinnern, Vegetariern und Anhänger ominöser Körperkulturen fremdeln die beiden unbedarften Rheinländer und finden nichts von dem erhofften Glück.
Dieser Ausflug in eine Art Hippie-Kolonie des frühen 20. Jahrhunderts bringt einerseits einige illustre Namen in die Handlung wie Hermann Hesse und Käthe Kruse, bietet andererseits aber nicht ganz den Charme der Kölner Atmosphäre. Gleichwohl fesselt „Blumenspiel“ durch die fein gezeichneten Charaktere und deren Einbindung in das authentische Köln von 1908. Wobei der dem vorherrschenden Geist des Jugendstils entnommene Romantitel wenig zielführend für ein alles andere als kitschiges Buch ist.

# Hajo Steinert: Blumenspiel; 283 Seiten; Penguin Verlag, München; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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