HEIKE B. GÖRTEMAKER: „HITLERS HOFSTAAT“


Als „einsamer Messias“ inszenierte Joseph Goebbels Hitler und als sozial unfähigen Menschen, den ein „menschenleerer Raum“ umgab, stilisierte ihn sogar noch in den 70er Jahren der angesehene Historiker und Publizist Joachim Fest. Der allerdings hatte einfach schlampig gearbeitet und sich offenbar zu sehr an den Lügenmärchen orientiert, die Albert Speer als Weltbestseller unters Volk streute.
Um so verdienstvoller ist die umfassende Klarstellung durch Heike B. Görtemaker. In ihrem Sachbuch „Hitlers Hofstaat. Der innere Kreis um Dritten Reich und danach“ widmet sie sich drei deutlich voneinander abgegrenzten Themenkreisen. Den Impuls dazu setzte ein Glücksfall, der der Historikerin nach ihrem hochgelobten Buch über Eva Braun (2010) widerfuhr.
Es meldete sich der Sohn von Nicolaus und Maria von below bei ihr, enge Gefolgsleute Hitlers, die den Krieg überlebt hatten. Deren privater und dienstlicher Nachlass wurde zum Ausgangspunkt intensiver Recherchen, in die viel an bisher unbekannten Archivquellen einfloss. Im ersten Teil schildert Görtemaker den Weg Hitlers als talentierter Redner und radikaler Aktivist, der in München zwar schon ein großes Wort führte, jedoch ohne eine Schar von Freunden und Gönnern nie hätte werden können, was er wurde.
Amann, Röhm und Hanfstaengl waren dabei nur die bekanntesten Namen, doch Hitler war keineswegs der einzelgängerische Leitwolf, um den sich diese glühenden Nationalsozialisten und Antisemiten scharten. Allerdings trug er selbst bereits zur Legendenbildung bei, als er den Selbstmord seiner in ihn verliebten Nichte Geli Raubal zu der Mär vom einsamen Führer in Gang setzte, der jetzt „nur noch dem deutschen Volk und seiner Aufgabe“ gehöre.
Bemerkenswert dann der Wandel des inneren Kreises um Hitler, denn kaum war er 1933 Reichskanzler geworden, brauchte er seine Gönner nicht mehr und distanzierte sich sogar vom einstigen privaten Umfeld. Und es begann die Zeit des eigentlichen, vor der Öffentlichkeit verborgenen Hofstaats auf dem Berghof auf dem Obersalzberg, der nicht nur gut abgeschirmtes Refudium sondern in erheblichen Maße quasi Nebenregierungssitz wurde.
Diese abgeschottete Gesellschaft hielt quasi Hof und Hitler genoss und nutzte diesen illustren Rückzugsraum. Zumal er nun derjenige war, der Wohltaten, Posten und Macht unter den oft ranghohen Hofschranzen verteilen und zugleich Kontrolle ausüben konnte. Doch dieser innere Zirkel um den Führer löste sich nach dem Ende der Nazi-Diktatur keineswegs auf, wie Görtemaker in dem mit manchen Analysen überraschenden dritten Teil des Buches darlegt.
Auch ohne Hitler blieb dieser Führerkreis eine verschworene Gemeinschaft, die für ein Wohlgedeihen in Nachkriegsdeutschland mit teils erstaunlichen Karrieren sorgte. Es gelang fast allen, sich als harmlose oder gar verführte Mitläufer zu gerieren. In ihrer Weltanschauung weiterhin verbohrte Nazis, gelang diesen Hitler-Getreuen mit ihrem Netzwerk eine weitgehende Deutungshoheit über das Dritte Reich.
Das erklärt auch manche Darstellungen über Vorgänge und Personen sowie deren Verhalten und Bedeutung, die erst der späteren Geschichtsforschung nicht mehr standhielten. Die Projektionen aber waren erst einmal mit Langzeitwirkung gesetzt und die wirkmächtigste Schönfärbung der Tatsachen erfolgte durch Albert Speers Autobiografien voller Lügen und Verdrehungen.
Denen Joachim Fest dann 1973 das Echtheitssiegel des angesehenen Historikers mit seinen Veröffentlichungen verpasste, die sich in kaum nachvollziehbarer Unwissenschaftlichkeit ausgerechnet an den Ausführungen des einstigen Hitler-Günstlings Speer ausrichteten. Fazit: ein ebenso aufschlussreiches wie spannend zu lesendes Sachbuch, das manche Irrtümer und Falschfärbungen des bisherigen Bildes von Hitlers ureigenster Welt auf löbliche Weise geraderückt.

# Heike B. Görtemaker: Hitlers Hofstaat. Der innere Kreis im Dritten Reich und danach; 528 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 28

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: SB 424 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de