ANDREW ROBERTS:
FEUERSTURM
Mit zehn Jahren Verspätung liegt nun endlich das vielgerühmte Buch Feuersturm.
Eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs von Andrew Roberts auf Deutsch vor. Der
britische Historiker und Journalist erfindet die Geschichte nicht nue, doch seine kompakte
und dennoch ebenso umfassende wie fesselnd zu lesende Gesamtdarstellung ist für jeden
historisch Interessierten ein großer Gewinn.
Roberts konzentriert sich maßgeblich auf das militärische bzw. operationsgeschichtliche
Geschehen außer dem hervorragenden, zutiefst beklemmenden Kapitel über den
Holocaust und begibt sich auf politisches Gelände möglichst nur in direktem
Zusammenhang mit dem Krieg. Alle Kriegsschauplätze werden gewürdigt, wenngleich der
Historiker den pazifischen Großkonflikt mit deutlich weniger Kapiteln beschreibt und den
Zweiten Weltkrieg in erster Linie zu einem Krieg Adolf Hitlers macht.
Eine Spezialität dieses Sachbuchs ist die Heraushebung sogenannter Kardinalfehler, also
solcher strategischer oder auch taktischer Entscheidungen, die zu kriegsentscheidenden
Niederlagen und Wenden führten. Wobei Roberts immer wieder an die von deutschen
Historikern zu Unrecht stets verpönten kontrafaktischen Auswertungen geht. Das mag
nicht in allen Fällen neu sein, setzt jedoch manch erhellenden Gesichtspunkt, bis hin zur
Überlegung, ob der Sieg der Alliierten über das Deutsche Reich eine zwingende
Notwendigkeit war.
Die beiden gravierendsten Kardinalfehler des Westens seien gleich vorweg beschrieben,
zumal beide Hitlers Erfolge erst möglich machten. Als die Reichswehr im März 1936
entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages das entmilitarisierte Rheinland
besetzten, sahen Franzosen und Briten tatenlos zu. Dabei hatte die Reichswehr Befehl, bei
Gegenwehr der Alliierten sofort in die Kasernen zurückzukehren. Eine Schmach, die Hitler
kaum im Amt überstanden hätte und ohne ihn vermutlich kein Zweiter
Weltkrieg.
Der zweite große Kardinalfehler war, dass die Westmächte zwar Polen Beistand leisteten
und Hitler den Krieg erklärten. Aus dem Blitzkrieg in Polen aber zogen sie keinerlei
Lehren, so dass sie ihm selbst 1940 geradezu zwangsläufig zum Opfer fielen. Doch schon
hier begann die Serie von Kardinalfehlern Hitlers, fast durchweg gegen den Rat seiner
Generäle, die sich jedoch duckmäuserisch selbst gegen noch so offensichtliche
Fehlentscheidungen nicht durchsetzten.
Egal, ob der Stopp der Panzer vor Dünkirchen ihm Juni 1940, wodurch fast 340000 Mann
entkommen konnten. Oder den Bündnispartner Japan nicht in die Angriffspläne gegen die
Sowjetunion einzubeziehen, was dieser folgenreich einen Zweifrontenkrieg ersparte
während Hitler andererseits nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour ohne Not dem
unerreichbaren wirtschaftlichen Riesen USA den Krieg erklärte.
Roberts stellt die Operationen und Schlachten dar, die von besonderer Bedeutung waren,
lässt aber auch die Rüstungsbeschaffung wie auch das immer wieder kriegsentscheidende
Informationswesen einfließen. Es gibt wohl nur wenige Historiker, die einzelne Schlachten
zu Lande, zu Wasser und in der Luft so anschaulich und mitreißend schildern können wie
Roberts.
Und auch dabei kommen nicht nur große bewegende Auseinandersetzungen zur Anschauung bis
hin zu exemplarischen Einzelschicksalen. Hier spielten taktische und strategische
Entscheidungen immer wieder eine schwerwiegende Rolle zugunsten einer Seite. Wie der
Verzicht Admiral Nagumos auf die 3. Angriffswelle gegen Pearl Harbour, weil die
US-Flugzeugträger nicht vor Ort waren. So aber konnte der zentrale Marinestützpunkt nach
wenigen Monaten wieder seine zentrale Rolle ausüben.
Bereits im Juni 1941 folgte dann der unglaubliche taktische Fehlgriff während der
Schlacht im Midway, als ein Befehlswirrwarr für die Flugzeuge für den Verlust von vier
unersetzlichen Flugzeugträgern sorgte: Die Schlacht, die Japan dem Untergang
weihte. Was auf deutscher Seite noch vor Stalingrad sein Pendant hatte, als Hitler
im August 1941 mit neuer Weisung die Eroberung des wirtschaftliche wichtigen Südens der
Sowjetunion der noch möglichen Eroberung Moskaus vorzog.
Roberts beleuchtet auch den nordafrikanischen Feldzug eingehend und sieht hier den weniger
beachteten aber ähnlich gravierenden Fehler Hitlers wie in Stalingrad: aus fanatischer
Sturheit verweigerte er jeglichen Rückzug und opferte damit zum Jahresbgeinn 1943 gleich
auf zwei Kriegsschauplätzen sinnlos jeweils über 250000 Soldaten. Dazu passt dann das
Hitler-Zitat über seine Generäle: Diese Herren mit den Purpurstreifen an den
Uniformhosen sind mir manchmal sogar noch widerwärtiger als die Juden.
Roberts wechselt bei all dem virtuos die Schauplätze und zeigt auch ihre Verflechtung
miteinander auf. Neben vielen Einblicken in das Führuzngshandeln gibt es immer wieder
auch interessante Zitate und Tagebuch-Einträge wichtiger Protagonisten. Zugleich gibt er
Analysen und Bewertungen ab und fragt auch, warum die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg
verloren haben und ob dies unausweichlich so kommen musste. Seine Generalthese lautet
hier, dass der Hauptgrund für die Niederlage war, dass dies ganz vorrangig Hitlers Krieg
war und dieser dabei stets seine nationalsozialistischen Obsessionen über militärische
Notwendigkeiten und Möglichkeiten stellte.
Fazit: eine exzellente Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkriegs, detailliert und zugleich
kompakt und übersichtlich.
|