NEAL & JARROD SHUSTERMAN:
DRY
Man stelle sich einmal einen totalen Wasserentzug vor und das bei 38° im Schatten. Genau
das passiert im Orange County, Kalifornien, am 4. Juni. Die 16-järhige Alyssa erlebt den
sogenannten Tap-out exakt um 13.32 Uhr, wie sie sich merkt, als aus dem
Wasserhahn nur noch eine Art Keuchen aber kein Tropfen mehr kommt.
Damit beginnt der Jugendthriller Dry, den Erfolgsautor Neal Shusterman
gemeinsam mit seinem Sohn Jarrod verfasst hat. Kalendermäßig lässt sich das Datum
leicht einkreisen, denn der nächste 4. Juni, der auf einen Samstag fällt, kommt 2022
die realistische Eskalationsstufe der längst bestehenden Wasserkrise in
Südkalifornien liegt also in der nahen Zukunft.
Als der Gouverneur im Fernsehen schlicht erklärt, die Nachbarstaaten Arizona und Nevada
hätten das Stausee-Hilfsprogramm aufgekündigt und die Schleusentore geschlossen, weil
sie das Wasser selbst benötigen, helfen seine Beschwichtigungen herzlich wenig, denn die
wenigsten der Millionen betroffener Bürger sind auf ein derart komplettes Abstellen des
Wassers vorbereitet.
Die öffentliche Wasserversorgung bricht dominosteinmäßig im Nu zusammen und
Ich-Erzählerin Alyssa erlebt mit ihrem kleinen Bruder Garrett die ersten massiven
Rücksichtslosigkeiten, als auch sie versuchen, im Supermarkt letzte Wasservorräte
einzukaufen. Derweil machen sich ihre Eltern auf zu den Entsalzungsanlagen am Meer. Als
sie nicht wiederkehren aus dem dort ausbrechenden Chaos mit wahren Schlachten zwischen den
ausflippenden dehydrierten Wasser-Zombies, suchen die Beiden Hilfe bei Kelton
McCracken, dem benachbarten Schulkameraden.
Seine Eltern zählen zu den sonst stets als Spinner belächelten Preppern, die
sich mit Vorräten und dem Ausbau des Hauses zu einer regelrechten Festung schon lange auf
eventuelle Katastrophen vorbereitet haben. Aus wechselnden Perspektiven und eingestreuten
Schnappschüssen allgemeiner Berichte offenbart sich, wie rapide das Chaos fortschreitet
und der nackte Überlebenswille zu einem um sich greifenden Totalausfall der
Humanität führt. Und man kennt die unerbittliche Tatsache: schon nach drei Tagen
ohne Wasser droht das Ende.
Das McCracken-Haus könnte die Rettung sein, obwohl die Nachbarn es bestürmen, doch diese
Festung fällt dann auf tragische Weise. Alyssa, Garrett, Kelston und der auf rabiate
Weise zu ihnen gestoßenen Jacqui Costa bleibt nur die Flucht. Die 19-jährige Streunerin
hat in entscheidenden Situationen genau die Härte, die sie auf ihrer Odyssee zu einer
letzten Hoffnung benötigen.
Keltons Vater hatte einst eine Art Fluchtbunker in den Bergen hergerichtet, doch die Fahrt
durch ein Land in Anarchie wird zum Horrortrip. Längst ist der Ausnahmezustand
ausgerufen, aber weder Militär noch andere Behörden bekommen die Krise auch nur
annähernd in den Griff. Und dann gibt es noch die skrupellosen Krisengewinnler wie den
weiteren Ich-Erzähler Henry, Sohn reicher abwesender Eltern. Er stößt zu der kleinen
Gruppe und so hilfreich er für die Anderen in einigen heiklen Situationen auch ist, so
schräg und sachlich kalt sind seine Ansichten und Verhaltensweisen.
Es ist bereits der fünfte Tag der Wassernot angebrochen, nackter Überlebenswille lässt
auch für einen sonst so verantwortungsbewussten Menschen wie Alyssa nur noch wenig
Spielraum für Anständigkeit: Inzwischen ist Hoffnung etwas, das sich ständig
bewegt wie ein Hai. Und die Irrfahrt zu dem Fluchtbunker führt in ein
nervenzerreißendes Finale mehr sei von diesem packenden und so erschreckend
realistischen Klimathriller jedoch nicht verraten.
Wenn der zudem absolut filmreif geraten ist, liegt dies am Mitwirken von Shusterman-Sohn
Jarrod, der im Hauptberuf Drehbücher schreibt. Fazit: ein Meisterwerk dank exzellenter
Dramaturgie mit den wechselnden Erzählperspektiven der durchweg starken Typen und dem so
wirklichkeitsnahen Szenario. Nicht nur für Teenager ein nachdenklich machendes Stück
Hochspannungsliteratur.
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