CHIP CHEEK: „TAGE IN CAPE MAY“


Als Henry und Effie Ende September 1957 nach Cape May, einem Ferienort an der Küste von New Jersey, kommen, ist das erst einmal enttäuschend. Frisch verheiratet ist dies ihre Hochzeitsreise, doch das Städtchen ist außerhalb der Saison ziemlich trist und das Wetter herbstlich rau.
Doch zunächst finden sich die beiden Flitterwöchner aus dem ländlichen Georgia damit ganz gut ab, schließlich wollen Henry, 20 Jahre alt, und die 18-jährige Effie endlich einander körperlich erforschen, nachdem sie sich ansonsten schon seit Kindertagen kennen. Es hat etwas naiv Charmantes, wie das Paar zaghaft die beiderseitige Jungfräulichkeit ablegt und in die Intimität des Ehelebens eintaucht.
Damit beginnt „Tage in Cape May“, der Debütroman des US-Autors Chip Cheek. Trotz der schnell wachsenden Freuden am Sex empfinden die Beiden die eintönige Tristesse vor Ort bald als so drückend, dass vor allem die ohnehin etwas launenhafte Effie auf eine vorzeitige Abreise drängt.Doch da entdecken sie im Ferienhaus gegenüber unversehens Licht und treffen dort ausgerechnet auf Clara, die Effie von Ferienaufenthalten noch aus Mädchentagen hier im Haus von Verwandten kennt.
Effie ist durchaus nicht begeistert, denn sie erinnert sich an die mindestens zehn Jahre ältere Schönheit als „rotznäsigen Tyrann“. Dennoch lassen sie und Henry sich im Handumdrehen zu der großen Party überreden, die Clara hier mit ihren Upper-Class-Freunden aus New York feiert, allen voran mit ihrem Geliebten, dem attraktiven Playboy Max, und dessen rätselhafter Halbschwester Alma. Musik, Tanzen, Gin in Strömen und das ausgelassene Treiben erinnern durchaus an die glamourösen Abende eines Jay Gatsby.
Clara, Max und Alma bleiben auch nach dem Gelage in Cape May und Henry und Effie können – und wollen – sich dem fröhlichen Lotterleben des hedonistischen Trios auch gar nicht entziehen. Bootsausfahrten, Segeln, nächtliches Eindringen in leerstehende Ferienhäuser und endlose Ströme von Alkohol gehören ebenso dazu wie Spaziergänge nackt unterm Sternenhimmel.
Doch die unbedarften und noch so unschuldigen Flitterwöchner sind diesem ständig zunehmenden Tanz der Hormone nicht gewachsen. Während Effie von Max fasziniert ist, alle aber auch durch allerlei Launen nervt, erliegt Henry schon bald der Anziehungskraft Almas. Er lässt sich tatsächlich von ihr verführen und treibt schließlich sogar ein aufgewühltes Doppelspiel mit der Unersättlichen, das über rein sexuelle Begierden deutlich hinausgeht.
Doch Alma stellt auch Forderungen, um Henry dann völlig konfus und gespalten zurückzulassen, als sie plötzlich entschwindet. Zugleich werden die anfangs noch relativ harmlosen Spielchen, in die Clara und Max das junge Ehepaar verwickeln, immer anzüglicher und hemmungsloser. Bis es zu einer erneuten Partie „Kings Cup kommt, einem frivolen Pfänderspiel.
Das im sexuellen Rausch endet. Und zu Augenblicksentgleisungen mit unwiderruflichen Konsequenzen, denn dies sind die prüden 50er Jahre und die sexuellen Fantasien eines Mannes vertragen sich ganz und gar nicht mit Gedanken an Gleichberechtigung. Und schon gar nicht, wenn es um Ehebruch geht, obwohl er doch selbst im Beisein von Effie und Max mit Clara – von den unentdeckt gebliebenen Exzessen mit Alma ganz zu schweigen.
Es hat einen dumpfen bitteren Geschmack, wenn Henry und Effie nach diesen prägenden Tagen in Cape May heimfahren „zum Rest ihres Lebens“. Die Unschuld ist verloren wie das Vertrauen und doch dauert die Ehe dieser beiden Durchschnittsamerikaner einschließlich der ein oder anderen heimlichen Affäre tatsächlich, bis dass der Tod sie scheidet. Wozu Henry in den späten Jahren einmal den Kindern gegenüber sagt: „Wir lieben uns, wir mögen uns bloß nicht besonders.“
Erzählt wird das Alles mit einer grandiosen Prosa, ebenso elegant wie zupackend. Und mit einer seltenen Fülle erotischer Szenen, die trotz aller Offenheit so meisterhaft gelungen sind, dass sie nie ins Pornografische abgleiten. In dieser Hinsicht wie auch bei den großartigen Charakterzeichnungen und dem überzeugenden Zeitkolorit steht Chip Cheek schon mit seinem Erstling in der Tradition solcher Meister wie John Updike und Philip Roth.

# Chip Cheek: Tage in Cape May (aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben); 334 Seiten; Blessing Verlag, München; € 22

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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