NED BEAUMAN: WARUM DER
WAHNSINN EINER NIEDERLAGE VORZUZIEHEN IST
1938: das Team eines US-Multimillionärs reist in den Dschungel von Spanisch-Honduras, um
dort einen neu entdeckten Maja-Tempel abzubauen, um ihn in Manhattan wiederzuerrichten.
Zur selben Zeit startet aus Hollywood eine ganze Film-Crew zu demselben Tempel, um mit ihm
als Kulisse einen Film zu drehen.
Als sie etwas verspätet ankommt, ist das Bauwerk bereits zur Hälfte zerlegt. Mehr aber
geht nicht, denn die 79 Filmleute besetzen die noch stehende Hälfte, während sich die
New Yorker weigern, den Rest wenigstens für die paar Wochen Filmarbeit
wiederherzustellen. Der Konflikt entwickelt sich äußerst hartleibig, denn die
Dekonstrukteure sitzen den Rekonstrukteuren ebenso unbeugsam im Weg wie umgekehrt. Und
zwar von nun an für 19 Jahre!
Hört sich bescheuert an?! Ist aber die Geschichte, um die sich Ned Beaumans neuer Roman
rankt. Der trägt denn auch konsequenterweise den Titel Warum der Wahnsinn einer
Niederlage vorzuziehen ist. Was im Übrigen ein Zitat aus Orson Welles' nie
realisierten Drehbuch für den Film Herz der Finsternis ist. Und es sei vorweg
gesagt: ähnlich exzentrisch und genialisch wie der legendäre Film-Guru hat der junge
britische Erfolgsautor auch seinen absolut irren Roman verfasst.
In der Rahmenhandlung erzählt der CIA-Agent Zonulet von seinen aussichtlosen Bemühungen,
Beweise für seine Unschuld und das skandalträchtige Fehlverhalten der CIA-Sektion 9 zu
finden. Eine irrlichternde Rolle spielt nebenher seine Erfahrung mit einem
bewusstseinserweiternden Pilz. Zugleich blickt er zurück auf seine Zeit als
Skandalreporter beim New Yorker Mirror. Aus dieser Vergangenheit stammen aber
auch die attraktive Meredith Vansaskas als Kollegin und investigative Chronistin sowie der
skrupellos intrigante Kollege Trimble.
Aber auch die Auslöser für den Tempelstreit haben es auf undurchsichtige Weise in sich,
allen voran Multimillionäre Elias Coehorn, der mächtige Manipulator im Hintergrund. Noch
geheimnisvoller erscheint jedoch der geisterhafte Filmmogul Albert Spindler, der das
versponnene junge Regie-Talent Jervis Whelt in den Dschungel entsendet und die Dinge dann
gleichfalls quasi auf sich beruhen lässt.
Wo er dann auch Elias Coehorn junior, den ebenso selbstherrlichen wie missratenen Sohn des
düsteren Kapitalisten trifft. Doch die Zahl der teils spektakulär gezeichneten
Charaktere ist noch viel umfangreicher und diese Protagonisten im Sinne üblicher
Zeitgenossen normal nennen zu wollen, wäre geradezu beleidigend.
Nicht nur rund um den Tempel kommt es ständig zu irrsinnigen Hakeleien, während hier in
der völligen Abgeschiedenheit von der übrigen Welt allerdings regelrechte neue
Gesellschaftssysteme mit Verteilungskämpfen, Verbrechen aber auch eifrig produziertem
Kindersegen entstehen. Und selbst ein zufällig dorthin geflohener deutscher SS-Offizier
sorgt statt für Aufklärung über inzwischen abgelaufene Ereignisse wie einen ganzen
Weltkrieg lieber für neue Machtkonstellationen.
Heftig und oft auch brutal geht es zu, das Geschehen springt spannungstreibend von einem
Schauplatz und einer persönlichen Perspektive zur anderen. Man sollte nicht zu sehr auf
Glaubwürdigkeit versessen sein, dann wird dieses Füllhorn der Verrücktheiten zu einem
Quell des zugegebenermaßen ziemlich niederträchtigen Vergnügens, an dem
man sich geradezu schwindelig liest.
Doch Ned Beauman hat auf solch faszinierende Weise regelrecht ins Delirium fabuliert, dass
er wider alle Erwartungen tatsächlich mit unendlichen Wendungen und Überraschungen alle
Fäden zusammenführt. Da erscheint es fast unglaublich: diese labyrinthische Achterbahn
findet irgendwann und irgendwo ins Ziel und alles hat irgendwie im Rahmen eines großen
Irrsinns so etwas wie Hand und Fuß.
Fazit: eine Art literarisches Dschungelcamp der genialischen Art, brillant übersetzt,
aber ganz sicher nichts für zartbesaitete Leser.
|