AMY GILES: „JETZT IST ALLES, WAS WIR HABEN“


Hadley McCauley ist eine perfekte Schülerin, eine perfekte Sportlerin und eine perfekte Tochter. Nun liegt die 17-Jährige nach dem Absturz mit einem kleinen Privatflugzeug schwer verletzt im Krankenhaus.
Als nächstes interviewt ein Beamter der Flugsicherheitsbehörde ihre Schulkameraden und erfährt, dass Hadley als verwöhnte Tochter reicher Eltern nur wenige Freunde hatte und dass ihr Vater offenbar ein „Drillmeister“ war. Damit beginnt Amy Giles ihren Jugendroman „Jetzt ist alles, was wir haben“, der entgegen möglicher Erwartungen eines nicht ist: eine typische Highschool-Geschichte.
Erst allmählich wird offenbar, was Hadley am perfektesten beherrschte, nämlich die Fassade der tollen Schülerin und Sportskanone beim Lacrosse. Das vermeintliche Idyll geht einher mit ungeheurem Druck, den ihr Vater aus+bt. Früh morgens muss sie mit ihm laufen, sie muss Krafttraining für sportliche Bestnoten machen und sie muss trotz Flugangst das Fliegen lernen. Was er schließlich auch kann und wie er soll sie im kommenden Jahr auch zu einer Elite-Uni wechseln.
Doch je weiter man liest, desto mehr erweist sich Miles McCauley als narzisstischer Kontrollfreak. Nichts lässt er durchgehen und sein Maßnahmenkatalog beschränkt sich dabei nicht auf psychischen Druck. Als sich Hadley dann gegen den eigenen Willen in den Mädchenschwarm Charlie verliebt und die Beiden sich einander vorsichtig annähern, wird das für Hadley ein anscheinend unüberwindliches Problem, denn einen Freund zu haben ist noch strenger untersagt als so viele Dinge, die in ihrem Alter eigentlich normal sein sollten.
Daheim aber findet sie nicht nur keinerlei Unterstützung durch die trinkende Mutter, dort lebt auch ihre wahre Achillesferse: ihre zehnjährige Schwester Lila. Hat der Vater sie bisher noch weitgehend in Ruhe gelassen, setzt er auch die kleine Rebellin nun immer mehr unter Druck. So sehr, dass sich die Kleine im weihnachtlichen Ski-Urlaub einen Arm bricht – und Hadley glaubt nicht, dass es wirklich ein Unfall war.
Und die Situation eskaliert, als der Vater Lunte riecht wegen Charlie. Noch ungehaltener aber reagiert er auch Hadleys Ansinnen, die Aufnahme an einer Elite-Uni zu unterlaufen und lieber zur nahen öffentlichen Highschool zu gehen. Ihr Motiv ahnt er nicht: sie will weiter zuhause wohnen können, denn wie will unbedingt vermeiden, dass es Lila so ergeht wie ihr. In ihrer Verzweiflung ist auch Charlie viel zu sehr ausgeschlossen, als dass er ihr eine Hilfe sein könnte, und so bahnt sich eine Katastrophe an.
Mehr aber soll hier nicht von der ebenso packenden wie intensiven und beklemmenden Geschichte verraten werden. Die große Sogwirkung erhält sie durch die raffinierte Verschachtelung zwischen den Zeitebenen Damals, Jetzt und Befragungen seitens der Flugsicherheitsbehörde. Es tun sich Abgründe auf in diesem so realistischen Drama um psychische und körperliche häusliche Gewalt.
Die Figuren wirken dabei ausgesprochen glaubhaft und für den besonderen Lesegenuss dieses exzellenten Jugendromans sorgt obendrein die Übersetzung durch Isabel Abedi, selbst gerühmt für Jugendromane, die sich ähnlich heiklen Themen widmen.

# Amy Giles: Jetzt ist alles, was wir haben (aus dem Amerikanischen von Isabel Abedi); 399 Seiten; cbj Verlag, München; € 17

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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