ELIZABETH KOSTOVA: „DAS DUNKLE LAND“


Alexandra Boyd ist 26, als sie in die bulgarische Hauptstadt Sofia reist, um dort Englisch zu unterrichten. Doch die Amerikanerin will damit auch Schuldgefühlen entkommen, weil ihr Bruder seit einem heftigen Streit zwischen den Beiden spurlos verschwunden ist.
Damit beginnt „Das dunkle Land“, der neue Roman von Erfolgsautorin Elizabeth Kostova und führt die junge Frau dann erst einmal in gänzlich andere Gefilde als die einer braven Sprachlehrerin. In der schönen fremden Stadt angekommen, wird sie am falschen Hotel abgesetzt. Bevor sie in ein Taxi zur richtigen, weil bezahlbaren Unterkunft steigt, hilft sie drei älteren Leuten mit ihrem umfangreichen Gepäck beim Einsteigen.
Und bemerkt zu ihrer Bestürzung anschließend, dass sie versehentlich eine kleine Tasche der Fremden nicht mitgegeben hat. Sie lässt sich von ihrem Taxifahrer, der Englisch spricht und sich Bobby nennt, zur Polizei fahren, denn der Inhalt der Tasche hat es in sich: eine Schatulle mit dem eingravierten Namen Stoyan Lazarov und darin offenbar dessen Asche. Aber Alexandra erhält vom grantigen Polizisten lediglich eine Adresse der Familie ausgehändigt und soll sich selbst um die Ablieferung kümmern.
Womit eine außergewöhnliche Odyssee nicht nur durch das heutige Bulgarien sondern auch durch dessen Geschichte der letzten über 70 Jahre einsetzt. Die ebenso tragisch ist wie die des Eingeäscherten, tragisch und zugleich von fremdartiger Schönheit und dunkelsten menschlichen Seiten. In Bobby hat Alexandra einen kongenialen Begleiter, rätselhaft aber auch hilfreich und loyal in heiklen Situationen. Als sie nun den Spuren der Familie folgen, erleben sie Eindrückliches.
Doch offenbar gibt es auch Menschen, denen diese Nachforschungen so unbequem sind, dass es zu gefährlichen Zwischenfällen kommt. Von Station zu Station erfährt Alexandra mehr über das Leiden des Stoyan Lazarov, der ein ein begnadeter Geiger war. In seinem Ehrgeiz, auch ein großer Dirigent zu werden, geriet er in den Kriegsjahren offenbar sogar in das Umfeld Hitlers.
Was ihm nach der Machtübernahme der Kommunisten später in eines der wohl an die hundert Lager brachte, die historisch verbürgt sind und wo einige zehntausend oft genug gänzlich unschuldige Menschen durch Fronarbeit, Quälereien und auch willkürliche Hinrichtungen umkamen.
In den wechselnden Erzählperspektiven sind es schließlich jene Passagen, in denen Stoyan Lazarov selbst berichtet, die bewegendsten. Was er über seine Torturen erzählt, noch mehr aber, wie er von seiner großen Liebe Vera und der Leidenschaft zur Musik spricht, das geht tief unter die Haut. Elizabeth Kostova, die selbst mit einem Bulgaren verheiratet ist, hat die realen Verhältnisse hinter dem Schicksal ihrer Hauptfigur wie auch der vielen Opfer der Lager intensiv recherchiert.
Dieser Roman überzeugt aber nicht nur mit der hervorragend Geschichte selbst, gerade auch die exzellent gezeichneten Charaktere weisen hohe Qualitäten auf. Das Ganze braucht etwas Zeit, um sich zu entwickeln. Doch es wächst, wird immer fesselnder und gegen Ende laufen alle Fäden fein geknüpft zusammen.

# Elizabeth Kostova: Das dunkle Land (aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr); 735 Seiten; Wunderraum Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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