ERNST PIPER: ROSA LUXEMBURG.
EIN LEBEN
Vor nunmehr genau 100 Jahren wurde die Frau ermordet, die damals und bis heute die
Geschichte der deutschen und europäischen Linken prägte wie keine andere: Rosa Luxemburg
(1871-1919). Zeit für eine umfassende Biografie, geschrieben ohne ideologische
Scheuklappen.
Genau das schaffte Ernst Piper, Professor für Neuere Geschichte an der Universität
Potsdam, mit Rosa Luxemburg. Ein Leben. Er setzt mit ihrer jüdischen Kindheit
in wohlhabendem Hause im zaristischen Polen ein, wo die erst 16-jährige Rozalia
Luksenburg so ihr Originalgeburtsnahme das Abitur als Jahrgangsbeste besteht
und danach in der Schweiz studierte und promovierte.
Früh mit sozialistischem Gedankengut konfrontiert und alsbald als glühende Verfechterin,
wurde die in Polnisch, Russisch, Deutsch und Französisch gleichermaßen redegewandte
kleine Frau (sie maß ganze 1,46 Meter) schnell zu einer brillanten Aktivistin. Zunächst
in ihrer Heimat, was ihre erste Inhaftierungen einbrachte, wo sie aber auch ein
schwieriges, stets geheimgehaltenes Liebesglück mit ihrem politischen Mentor Leo Jogiches
begann.
Schon früh ein durch und durch politischer Mensch, setzte sie sich zwar in etlichen
Ländern für sozialistische Bestrebungen ein, ihre eigentliche Chance für einen Erfolg
auf großer Ebene sah sie jedoch in der deutschen SPD. Die hatte sich nach dem Ende der
Beschränkungen durch die Sozialistengesetze ab 1890 zur stärksten sozialistischen Partei
Europas entwickelt und Luxemburg ging 1898 sogar eine Scheinehe ein, um die deutsche
Staatsangehörigkeit zu erlangen.
Biograf Piper protokolliert nun präzise, wie die hochintelligente charismatische
Politikerin von einem Parteitag zum nächsten zieht. Insgesamt rührt sie die Werbetrommel
für sieben verschiedene sozialistische Parteien und der Historiker analysiert jede ihrer
Reden, Flugblätter und Briefe, aber auch jeden wichtigen Angriff ihrer vielen Gegner. Die
sie auch in den eigenen Reihen hatte, denn so eigen ihre links-sozialistischen
Überzeugungen waren, so wurde ihre Kompromisslosigkeit zu genau der Belastung, die es
verhinderte, Mehrheiten für sich zu gewinnen.
Präzise geht Piper auf der Grundlage umfangreichen Quellenstudiums auf die
unausweichlichen Divergenzen ein, die sich zwischen der glühenden Verfechterin einer
Dikatur des Proletariats und dem parlamentarisch geoprdneten Zug der SPD zur Überwindung
der bestehenden politischen Verhältnisse entwickelte. Und schließlich in die Abspaltung
von der SPD und zur Gründung von Spartakusbund bzw KPD führte.
Doch auch gegenüber dem Totalitarismus Leninscher Prägung widersetzte sich Luxemburg mit
der gleichen Scharfzüngigkeit und Unerbittlichkeit und so macht sich die einstige Heldin
der SPD zu einem Hassobjekt für viele Linke und für Bürgertum und Rechte sowieso. Aber
auch sonst war Rosa Luxemburg bei allen Fähigkeiten und Leistungen wenig Glück
beschieden.
Fast immer ordnete sie ihr Privatleben der politischen Arbeit unter bis hin zum Vorwurf
der Gefühllosigkeit. Ernst Piper spürt jedoch auch die sensible Seite dieser wohl
bedeutendsten Denkerin in der Nachfolge von Karl Marx nach und wertet entsprechende
Korrespondenz aus. Sei es zum wankelmütigen Liebesleben insbesondere mit dem ähnlich
radikal der Politik verschriebenen Leo Jogisches, sei es zu dem als schmerzlich
empfundenen Verzicht auf den Kinderwunsch:...hat Luxemburg ihr Leben für die
Politik geopfert.
Bei aller Ausführlichkeit der persönlichen und politischen Lebensgeschichte erscheint
die recht kurz gefasste Passage über die schändliche Ermordung der herausragenden
Politikerin durch reaktionäre Gruppierungen am 15. Januar 1919 angemessen. Andererseits
ist der systematische Ansatz zu loben, dass die politischen und ideologischen Gedanken und
Verlautbarungen Luxemburgs nicht geballt in einem Kapitel behandelt werden sondern in
ihrem jeweiligen zeitlichen Zusammenhang. Nur so finden viele Thesen ihren unmittelbaren
Ursprung und ihre aus der Situation heraus zu verstehenden Folgerungen.
Fazit: dies dürfte die ultimative Biografie zu einer der bedeutsamsten Persönlichkeiten
der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts sein und sie offeriert eine Fülle zeitloser
Gedanken und Ideen des politischen Denkens.
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