BERNHARD AICHNER: „BÖSLAND“


Dieser Roman beginnt mit einem Hammersatz: „Er hing an dem Gürtel, mit dem er mich immer geschlagen hat.“ Und der zehnjährige Ben erklärt als Ich-Erklärer lakonisch: „Ich war glücklich.“
Was man beklommen nachvollziehen kann, denn der furchtbare Vater ließ sein eigenes Unglück immer wieder an dem schüchternen Jungen aus, der fast täglich mit ihm auf den Speicher ins Bösland steigen musste, wo es dann Misshandlungen hagelte. „Bösland“ heißt denn auch der Titel des neuen Thrillers von Bernhard Aichner. Aufs absolut Wesentliche reduziert, verfolgt der österreichische Erfolgsautor erneut eine packende Dramaturgie mit kurzen Kapiteln.
Die zunächst fast wie bei der Totenfrau-Trilogie ins Tiefschwarze gehen, wenn Ben mit seinem einzigen Freund, dem gleichaltrigen Arztsohn Felix, ein skurriles Kuriositätenkabinett aufzieht. Sie machen Reklame für eine außergewöhnliche Show unterm Dach: einen echten Aufgehängten begucken! Gegen Eintritt und mit manchem Besucher, der sogleich kotzen muss.
Die ganz und gar lieblose Mutter gibt Ben die Schuld an dem Suizid ihres Mannes, bleibt ansonsten aber gleichgültig wie zuvor. So bekommt sie auch nicht mit, was für Spielchen Ben und Felix auf dem Speicher treiben bis hin zu Biertrinken, Tierquälerei und dem Hantieren mit der von Felix Vater gemopsten 8mm-Kamera.
Bis nach drei Jahren alles kippt. Die ebenfalls 13-jährige Apothekerstochter Matilda ist ins Dorf gezogen und besucht die verliebten Jungen im „Bösland“. Und wird dort schließlich brutal erschlagen: sieben Mal hat der „Mörderjunge“ mit einem Golfschläger zugeschlagen. Doch als man Ben mit der blutigen Leiche im Arm findet, schweigt er beharrlich. Er ist zwar noch nicht strafmündig, da er aber sein schweigen beibehält, landet er in der Psychiatrie. Mit entsprechender Behandlung und die Mutter kümmert sich auch nicht.
Diese höchst beklemmenden Passagen werden erst von Frau Vanek beendet, der Psychiaterin, zu der Ben nach dem Übergang in die Erwachsenenpsychiatrie kommt. Endlich beginnt er zu reden, allerdings bleibt da dennoch vieles außerhalb jeglicher Erinnerung. Dennoch führt ihn die Therapie der einfühlsamen Frau mit 23 Jahren in ein zunächst betreutes und dann sogar bescheidenes, unauffälliges Leben als Fotolaborant.
Bis er unverhofft 30 Jahre nach jener Bluttat wieder auf Felix stößt, der nicht weit netfernt wohnt und ein erfolgreicher Unternehmer geworden ist. Während Ben einerseits von Frau Vanek ermuntert wird, seine dahinvegetierende Mutter und auch „Bösland“ aufzusuchen um der Erinnerungen willen, stolpert er auf einen ebenfalls vergessenen Fund.
Zugleich führt die Wiederbegegnung mit dem alten Freund den bis dahin schon spannenden Roman nun zum bitterbösen Thriller und zu einem zynischen Spiel mit den Wahrheiten. Es verbietet sich jedoch, noch mehr von dieser rasanten Achterbahnfahrt ins Monströse zu verraten. Immerhin bleibt festzuhalten: wenn das Recht nicht den Weg zur Gerechtigkeit findet, macht diese sich zuweilen auf eigene Pfade zum Ziel.
Fazit: einmal mehr fasziniert Bernhard Aichner mit einem raffiniert komponierten Thriller in seinem unverwechselbaren Stil mit knappen Sätzen, brillanten Dialogen und höchst authentisch wirkenden Charakteren. Das ist anders als die Totenfrau-Trilogie, aber zugleich wie diese von internationaler Spitzenklasse.

# Bernhard Aichner: Bösland; 446 Seiten; btb Verlag, München; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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