DIRK LIESEMER: „AUFSTAND DER MATROSEN“


Vier Jahre währt der Weltkrieg schon, die Stimmung im Volk ist so schlecht wie beim Militär und ein baldiges Ende des aussichtslosen blutigen Ringens scheint jetzt im Herbst 1918 unausweichlich.
Da hören die ebenfalls kriegsmüden Matrosen auf den vielen Kriegsschiffen, die vor Wilhelmshaven auf Reede liegen, etwas für sie ganz und gar Ungeheuerliches: die Marineführung ordnet den Operationsplan Nr. 19 an, ein riesiges Himmelfahrtskommando „zur Ehre der Marine“ an. 17 Großkampfschiffe und gut 100 kleinere Einheiten sollen am 30. Oktober zu einer Entscheidungsschlacht gegen die übermächtige Royal Navy aufbrechen! Und das sogar gegen die ausdrücklichen Absichten der Reichsregierung, die bereits Friedensverhandlungen mit den Alliierten aufgenommen hat.
Wie die Matrosen darauf reagierten und ihr Aufstand in weniger als zwei Wochen das Deutsche Reich völlig umkrempelte, davon berichtet der Politikwissenschaftler und Journalist Dirk Liesemer in einer hochspannend gemachten Chronik unter dem Titel „Aufstand der Matrosen. Tagebuch einer Revolution“. Im Stile eines auf detaillierten Fakten beruhenden Dokudramas folgt er den Ereignissen tagebuchartig, beleuchtet dabei aber auch wichtige Vorgänge an anderen Schauplätzen. Vorangestellt ist eine Würdigung der Ereignisse durch den ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert.
Am 30. Oktober 1918 soll die Flotte auslaufen, doch der Matrose Richard Stumpf vom Linienschiff „Wittelsbach“ schildert in seinem Tagebuch, was stattdessen passiert. Die Stimmung unter den rund 30.000 Matrosen und Heizern ist ohnehin denkbar schlecht, denn das dünkelhafte Offizierskorps behandelt sie wie Dreck, und während sie karges schlechtes Essen bekommen, prassen die Offiziere mit großen Gelagen.
Als sie nun zum sinnlosen Kanonenfutter herhalten sollen, streiken immer mehr von ihnen. Auf den Schlachtschiffen werden die Kessel gelöscht, viele Matrosen schließen sich ein oder kehren einfach nicht vom Landgang zurück. Und die um sich greifende Meuterei vereitelt tatsächlich das Auslaufen, so dass Flottenchef Franz von Hipper den Angriffsplan aufgeben muss. Um die Lage zu entschärfen, begeht er jedoch einen fatalen Fehler. Er will die Ballung aufbegehrender Matrosen auflösen und entzerrt das Gros der Flotte.
Während das IV. Geschwader an der Jade bleibt, beordert er das besonders befallene III. Geschwader mit fünf Großkampfschiffen in seinen Heimathafen Kiel. Hier nun werden 70.000 Industriearbeiter und 50.000 Soldaten und Marineangehörige – unter denen Kriegsmüdigkeit und Unzufriedenheit ebenfalls längst virulent sind – um die 5.000 Seeleute verstärkt, die soeben erfolgreich aufbegehrt haben. Am 1. November vernehmen die an Land gegangenen Mariner, dass 47 Kameraden als Rädelsführer verhaftet wurden. Was große Unruhe verursacht: droht ihnen die Todesstrafe?
Am 2. November sickern Nachrichten aus Wilhelmshaven durch: „Da in Schlicktown ist etwas nicht in Ordnung, da ist etwas bei der Flotte los!“ Immer mehr Bewegung kommt in die Rebellion, während zugleich ein Blick nach Berlin und ins deutsche Hauptquartier der Reichsarmee die politischen Bewegungen wie auch die Empörung Kaiser Wilhelms II. über das Ansinnen seiner Abdankung zeigen. Am 3. November ignorieren Soldaten und Matrosen in Kiel dann nicht nur die Alarmsignale zur Rückkehr auf ihre Posten, stattdessen kommt es sogar zu Aufmärschen zur Gefangenenbefreiung und es gibt erste Tote.
Am 4. November bricht in Kiel endgültig die Revolution aus, als sich Matrosen bewaffnen, sich ihnen Soldaten anschließen und die revolutionären Kräfte auf über 30.000 anwachsen. Soldatenräte werden gebildet. Als aus Berlin Gustav Noske, SPD-Vertreter der Reichsregierung unter Prinz Max von Baden, anreist, haben die Aufständischen bereits die ganze Stadt eingenommen und man erklärt ihm: „Sie irren sich, das ist nicht eine Marinerevolte. Das, was Sie jetzt erleben, ist der Beginn der deutschen Revolution.“
Doch auch in anderen Städten brodelt es längst und Kieler wie auch Wilhelmshavener Matrosen tragen die Revolution ins gesamte Reich. Überall entstehen Soldatenräte, Bayern wird am 8. November zur Republik und am 9. November um 14 Uhr ruft schließlich in Berlin Philipp Scheidemann (SPD) für das Deutsche Reich die Republik aus. Die exzellent aufbereitete Chronik mündet in ein Zitat des abgedankten Kaisers im holländischen Exil: „Nie hätte ich geglaubt, dass die Marine, mein Kind, mir so danken würde.“

# Dirk Liesemer: Aufstand der Matrosen. Tagebuch einer Revolution; 223 Seiten; marebuchverlag, Hamburg; € 24

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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