LUKAS RIETZSCHEL: MIT DER
FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN
Wer verstehen will, was junge Menschen zu Mitläufern oder gar Aktivisten bei Pegida und
auch den Nazis in Gegenden wie der Lausitz werden lässt, sollte unbedingt den Debütroman
Mit der Faust in die Welt schlagen von Lukas Rietzschel lesen.
Selbst in einem ostsächsischen Dorf aufgewachsen, siedelt der junge Autor seine
Geschichte im sehr ähnlichen Neschwitz an. Alles beginnt zur Jahrtausendwende, Philipp
und Tobias Zschornack werden dort geboren, während ihre Eltern mit dem Bau eines
Eigenheims beschäftigt sind. Das Dorf allerdings verödet derweil rapide, das
Schamottenwerk als einziger Arbeitgeber hat längst zugemacht und die Segnungen des
Aufbaus nach der Wende sind nicht bis hierher geschwappt.
Keine Sparkasse mehr, kein Bäcker, keine Apotheke, kein Arzt. Typische
Tristesse in so manchen Dörfern, während Eltern und Großeltern noch der gemütlichen
Ordnung aus DDR-Zeiten nachhängen. Wozu gar nicht passt, wie sie mit Freund Uwe umgehen,
der ihnen beim Hausbau zur Hand geht. Seine Frau ist in den Westen abgehauen, er trinkt
und jetzt wird obendrein ruchbar, dass er bei der Stasi war. Als er nun diese Freunde auch
noch verliert, bringt er sich um.
Um so präsenter wird die Rolle seines Neffen Wenzel, der mit seiner Jungenstruppe morgens
vor der Gesamtschule im Auto herumlungert. Wie sie herumrüpeln, Nazi-Rock hören, das
fasziniert Philipp und Tobias, die weder von daheim noch in der Schule irgendwie eine
Orientierung erfahren. Und dass die Nazi-Truppe nicht nur säuft und nationalistische
Töne spuckt, sondern erste Taten folgen lässt, begeistert um so mehr. Hakenkreuze
schmieren, einer türkischen Familie Schweineteile ans Hans zu werfen und schließlich
nach Dresden zu fahren, wenn Pegida wieder marschiert die Brüder rutschen voll
hinein in diese Szene.
Die Spirale dreht sich im Frust des Abgehängtseins immer weiter. Da laufen die Eltern
auseinander, weil sie erst die neue Zeit nicht begreifen und dann das schöne Eigenheim
nicht mehr abbezahlen können. Selbst die Schule wird geschlossen, bekommt dann jedoch
ungeahnte Symbolkraft: man schreibt das Jahr 2015, die Flüchtlingsströme gehen übers
ganze Land und auch ihre Schule soll als Flüchtlingsheim dienen.
Immer spannender wird das Geschehen, das geradezu zwangsläufig in die Eskalation trudelt,
denn endlich gibt es ein greifbares, ein angreifbares Feindbild und der Boden für den
Hass dafür ist längst bereitet. Lukas Rietzschel kommt dabei ganz ohne schlaue
Erklärungen aus, vielmehr fesselt er mit lapidaren, meist kurzen und schnörkellosen
Sätzen, die er mit großer Souveränität setzt.
Aktueller geht es gar nicht und man kann der Feststellung seines Verlegers Gunnar Cynybulk
nur zustimmen: Mit seinen 23 Jahren hat er den Roman unserer Zeit geschrieben.
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