KENT NERBURN: „NICHT WOLF NICHT HUND“


Bereits 1994 erschien Kent Nerburns Buch „Nicht wolf nicht Hund“ und wurde in Amerika ein großer Erfolg. Doch erst 2017 wurde das einzigartige Werk durch das legendäre Hay Literary Festival in Wales auch für Europa entdeckt und mit einem poetischen Vorwort von Nerburns Freund Robert Plant, einstiger Frontmann von „Led Zeppelin“, neu herausgebracht.
Nachdem der Nonfiction-Roman 2017 außerdem erfolgreich verfilmt wurde, liegt das Buch nun endlich auch auf Deutsch vor. Auslöser des Niedergeschrieben war ein Anruf von Wenona, einer jungen Frau aus dem Stamm der Lakota-Indianer. Die bat den Ethnologen und Theologen Nerburn, ihren Großvater Dan in seinem Haus in einem fernen Reservat aufzusuchen, um aus seinen jahrelang gefertigten Aufzeichnungen ein Buch zu machen.
Ich-Erzähler Nerburn schildert nun die ersten schwierigen Annäherungen an den knorrigen Alten, wo bereits die massiven Differenzen zwischen typischem Weißen-Verhalten und den so anderen indianischen Denkweisen spürbar werden. Doch der Autor bringt die Notizen des 78-jährigen Denkers tatsächlich in erste Buchkapitel, die Dan zu gefallen scheinen. Nicht jedoch dessen jüngerem Kumpel Grover, dem das Geschrieben als zu wenig authentisch missfällt.
Woraufhin Dan schlichtweg all die über Jahre in Schuhkartons gesammelten Aufzeichnungen verbrennt. Und in alter indianischer Tradition zu erzählen beginnt. Allerdings nicht etwa einfache Geschichten vom Stammesleben oder der Vergangenheit. Stattdessen folgt eine vielgestaltige Aufklärung durch den stoischen Weisen, bei der Nerburn eines ganz schnell einsehen muss: für Indianer ist Schweigen mächtiger als Worte.
Ob listige Absicht oder ob es sich einfach so ergab, geht es nun auf eine außergewöhnliche Reise. Grover als Chauffeur im alten Buick, Kent Nerburn, der eigenwillige Dirigent und dessen uralter Hund Fatback. Und der alte Indianer offenbart tiefgründige Erkenntnisse und Einblicke in die Seele und den Geist von Amerikas Ureinwohnern und den höchst gegensätzlichen Denk- und Verhaltensweisen der Weißen.
Die unendlichen und immer wieder grausamen fatalen Missverständnisse werden dabei schmerzlich offensichtlich – und fallen wahrlich nicht positiv zugunsten der weißen Eindringliche aus. „Wenn wir ein Versprechen geben, dann geben wir es Wakan Tanka, dem Großen Geist. Ein solches Versprechen ist bindend, unabänderlich.“ Um so unbegreiflicher war es den Indianern bei den vielen Verträgen, die immer wieder auch auf Einschränkungen für sie hinausliefen, dass so etwas für den Weißen Mann „bloß Deals“ waren. Ohnehin war die Landnahme der Eroberer unfassbar für die Indianervölker, denn sie betrachten das Land nicht als Besitz: „Es gab uns alles für Körper und Seele. Wir waren eins mit dem Land. - Wir wussten nicht mal, was Besitz war.“
Immer tiefer wird Nerburn in die andere Weltsicht hineingezogen, um den gewaltigen Unterschied zur weißen Sicht zu erkennen. Und gallige Feststellungen zu hören wie die über das Bild der Rothaut als „Folklore-Affe“ in den öffentlichen Darstellungen insbesondere durch all die Western-Filme. Dagegen stehen dann die intensive Spiritualität, die innige Verbundenheit mit der Schöpfung und der Weiße nur schwer zu begreifende Zusammenhalt iun Familie und Stamm.
Höchste Verehrung zollt Dan schließlich dem letzten Großen Häuptling Sittung Bull, vom dem auch der Titel des Buches herrührt. Er meinte damit jene Indianer, die bei den Weißen lebten und sich damit ihrer Seele beraubten: „Sie waren weder rote Krieger noch weiße Farmer – weder Wolf noch Hund.“
So endet diese Reise der Erkenntnis auf dem Friedhof von Wounded Knee, wo die rund 200 unschuldigen Frauen, Kinder und Alte liegen, die die US-Kavallerie im letzten Indianerkrieg 1890 abschlachteten. Überwältigende und tief bewegende Szenen beenden den großen wahren Roman hier und der weise alte Dan verewigt sich mit der zeitlosen Mahnung: „Ihr Weißen müsst lernen, Eure Arroganz abzulegen. Ihr seid nicht die einigen auf der Erde, und Ihr müsst Euch damit abfinden, dass Euer Weg nicht der allein seligmachende ist. Die Völker haben dem Schöpfer auf verschiedenste Art und Weise gehuldigt, und Ihr müsst lernen, das zu respektieren.“
Fazit: ein grandioses eindringliches Buch über die folgenreiche Kollision zweier unterschiedlicher Welten und Kulturen, dem Sky Nonhoff mit seiner meisterhaften grobkörnigen Übersetzung den nötigen authentischen Ton gegeben hat.

# Kent Nerburn: Nicht Wolf nicht Hund. Auf vergessenen Pfaden mit einem alten Indianer (aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff); 349 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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