JOHN CONNOLLY: STAN
Im Oceana Apartment Hotel jagt er, während die letzten Tage anbrechen,
Erinnerungsschmetterlingen nach. Er, das ist Stan Laurel (1890-1965), die magere
Hälfte des weltberühmten Komikerduos Laurel & Hardy. Der Eingangssatz aber leitet
nicht eine weitere Biografie über den Ausnahmekünstler ein sondern einen
außergewöhnlichen biografischen Roman.
Schlicht mit Stan ist er überschrieben, sein Autor aber überrascht, denn mit
John Connolly hat sich ein irischer Krimiautor von Weltrang dieses Themas angenommen.
Viele Jahre hat er an diesem Werk gearbeitet un dabei so ungeheuer viel in intensiver
Recherche walten lassen, dass eine höchst authentische Vita dabei herausgekommen ist, die
nun nicht von Stan selbst aber aus dessen Sicht erzählt wird.
Da sitzt der alte Stan am Fenster mit Blick aufs Meer und die Erinnerungen schwinden wie
das Leben. Da sind die Bilder jener kargen jungen Jahre mit frühen ersten
Bühnenauftritten, in denen er das Publikum zum Lachen bringt. Als er sein Glück in
Amerika versuchen will, lernt er 1912 auf der Überfahrt Charlie Chaplin kennen. Sie
mögen und bewundern einander und Arthur Stanley Jefferson, aus dem erst 1931 auch
amtlicherseits Stan Laurel wird, fungiert in den Anfängen zeitweise sogar als
Chaplins Zweitbesetzung.
Chaplin spielt übrigen immer wieder eine Rolle, wobei sein bekanntlich schwieriger
Charakter schonungslos beschrieben wird: Chaplin ist ein Dämon, der vorgibt, ein
menschliches Wesen zu sein. Doch der früh zum großen Star werdende Mime steht
nicht im Mittelpunkt, denn nach schweren Zeiten im wild aufstrebenden Film-Mekka Hollywood
lernt Stan den früheren Filmvorführer Oliver Hardy kennen. Der dicke Babe,
der schon als junger Mann 200 Pfund wog, ist nicht zufrieden mit seinen ständigen Rollen
als fettleibiger Bösewicht.
Und dann fällt dem Produzenten Hal Roach, einem der legendären Pioniere der Filmstadt,
auf, wie gut Stan und Babe sich vor der Kamera ergänzen. So beginnt 1921 eine Art
Künstlerehe eines perfekten Komikerpaares, das es bis 1951 auf 107 gemeinsame Filme
bringt. Stan allerdings ist dabei so bescheiden und auch innerlich unsicher, dass er zwar
an den meisten Streifen die wichtigsten Gags, Dialoge und oft ganze Skripts vorgibt, ohne
je darauf zu dringen, auch als Autor im Nachspann genannt zu werden.
Die teils sehr kurzen und in knapper schnörkelloser Sprache gehaltenen Kapitel wechseln
zwischen dem alten sinnierenden Stan und dem Geschehen in ihren Jahren als weltweit
gefeiertem Komikerduos. Während dabei einerseits mit teils geradezu fiebriger Prosa
faszinierende Einblicke in Glanz und Schatten der exaltierten Filmwelt Hollywoods
eröffnet werden, wird nicht nur dabei überdeutlich, wie sehr diese beiden einmaligen
Meister von Komik und Slapstick in einer Symbiose lebten.
So sehr, dass Stan jeden weiteren öffentlichen Auftritt verweigerte, nachdem Hardy im
Sommer 1957 nach langjährigen schweren Gesundheitsproblemen gestorben war. Doch es wird
auch auf ebenso fesselnde wie bewegende Weise offensichtlich, wie krass der Unterschied
zwischen ihrem umjubelten beruflichen und dem privaten Leben war. Schließlich waren sie
dann ja jeder für sich, unbeholfen in ihrer jeweiligen Lebensführung.
Stan und Babe liebten und brauchten einander vermutlich mehr als die meisten Ehepaar, was
allerdings kein bisschen mit Homosexualität zu tun hatte. Was Partnerschaften anging,
hatten beiden einen intensiven Faible für Frauen, wenngleich ohne ein glückliches
Händchen bei der Auswahl. So war Oliver Hardy dreimal verheiratet, glücklos und teuer
samt vieler Affären. Bei Stan Laurel waren es sogar fünf Ehen eine Frau heiratete
er allerdings zweimal was auch vieler Alimentenzahlungen keine wirklich
Vermögensbildung zuließ.
Glücklich waren die Beiden nur in ihrer gemeinsamen Arbeit und nebenher wird deutlich,
wie die wenig geschäftstüchtigen Komiker von den Studiobossen bei den Gagen
übervorteilt wurden. Hier aber endet dieses Erinnern an die andere Hälfte der so innig
seelenverwandten Künstlerzwillinge in einer gewissen Schwermut, mit der Stan
Zwiegespräche mit dem Gegenüber hält und mit ihm neue Dialoge und Szenen ausarbeitet.
In liebevoller Hinwendung und nie für die Öffentlichkeit bestimmt.
Fazit: eine einzigartige Romanbiografie, sachlich und zugleich voller Empathie geschrieben
ein Meisterwerk.
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