THOMAS HÜRLIMANN:
HEIMKEHR
Zwölf Jahre sind seit Thomas Hürlimanns letztem Roman Vierzig Rosen
vergangen. Lange Zeit hielt eine schwere Erkrankung den Schweizer Erfolgsautoren vom
Schreiben ab. Nun aber ist der vielfach Preisgekrönte mit einem großen Werk in den
Literaturbetrieb heimgekehrt.
Heimkehr lautet denn auch der Titel und man darf durchaus ein wenig
spekulieren, ob und inwieweit Autobiografisches in den Roman eingeflossen ist. Immerhin
wurde Ich-Erzähler Heinrich Übel junior wie der Autor am 21. Dezember 1950 geboren und
auch er hat ein erhebliches Problem mit seinem alten Herrn, dem Fabrikanten Heinrich Übel
senior.
Der herrscht mit despotischer Attitüde über seine Gummiwarenfabrik (Dr. Übels
Verhüterli) im fiktiven Fräcktal. Und mit eben 20 Jahren hatte er den Sohn mit
harschen Worten aus der Firma gejagt: Mein lieber Abfall, du bist weit vom Stamm
gefallen. Nun aber, und damit setzt der Roman ein, hatte der Alte ihn nach einer
Odyssee von 18 unsteten und wenig zielführenden Jahren plötzlich heimgerufen.
Mit einem geliehenen alten Chevrolet brettert der mittlerweile 38-jährige Junior über
eine vereiste Brücke in einem Schweizer Bergtal und landet unversehens am
Brückengeländer. Mühsam kann er noch aus dem querliegenden Wagen kriechen und
erwacht in einer völlig anderen Welt. Ungewiss, ob er real am Leben oder im Nirvana ist,
bekommt er heraus, dass er sich in einem Krankenhaus in dem Städtchen Pollazzu an der
Südküste Siziliens befindet.
Wie er dort hingekommen ist, bleibt ebenso offen wie der Grund für die allseits
herrschende Beachtung, ja geradezu Ehrerbietigkeit dem bisherigen Verlierer gegenüber.
Immerhin trägt er nun Glatze und darauf eine furchteinflößende Narbe, so dass er
anscheinend für einen knallharten Mafioso gehalten wird.
Was ihm aber nicht gelingen will, ist, sich an die Unfallnacht und vieles andere zu
erinnern. In seiner existentiellen Verunsicherung fürchtet er, sich selbst abhanden zu
kommen. Gewiss ist er sich nur, ein mehr oder weniger dauernd gescheiterter
Fabrikantensohn zu sein. Um die Bruchstücke seiner Vita zusammenzusuchen, begibt er sich
schließlich auf eine große Suche.
Mal bewegende, mal groteske Begegnungen lassen ihn der sich überraschend sogar zum
Frauenschwarm gemausert hat durchs Leben mäandern. Da erscheinen manche
Erinnerungsstücke immer wieder, oft nur minimal variiert, erweitert oder reduziert.
Heinrich Übel junior gerät auf seiner Irrfahrt sogar in die Liebschaft mit einer
überzeugten Kommunistin in der soeben zerfallenden DDR man schreibt jetzt das Jahr
1989.
Mit einem Kaleidoskop hinreißender, teils genüsslich satirisch karikierter Charaktere
steuert der opulente Erzählstrom schließlich auf ein skurriles Finale samt Senior mit
Demenz und Rollstuhl zu und glänzt auch dabei mit funkelnden Zitaten und grantigem Witz.
Fazit: dieser mal elegante, mal zupackende Roman ist eine zuweilen verwirrende bis
verstörende Herausforderung und zugleich ein großartiges literarisches Delirium.
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