WOLF WONDRATSCHEK: „SELBSTBILD MIT RUSSISCHEM KLAVIER“


Zu seinem 75. Geburtstag hat Kultautor Wolf Wondratschek sich und uns ein nachdenkliches Alterswerk zum Geschenk gemacht. Stets ebenso verquer wie brillant, Unikum auch und Unikat ganz gewiss, widmet er sich hier seiner dritten großen Leidenschaft neben dem Boxen und dem Rauchen: der Musik.
Und bleibt seiner Neigung zur Rätselhaftigkeit treu, denn der Titel heißt „Selbstbild mit russischem Klavier“. Doch wessen Selbstbildnis soll es sein,wenn ein Schriftsteller im typischen Kaffeehaus in Wien – seit langem Wondratscheks Wahlheimat – auf einen alten Russen trifft und dieser Suvorin einst ein berühmter Pianist war? So klar, die Protagonisten anfangs miteinander kommunizieren, so sehr verschwimmen mit dem Fortgang der Geschichte die Übergänge zwischen den beiden Ich-Erzählern.
Der alte Russe schildert seine großen Zeiten und wie der Kommunismus und der Alkohol sein Leben geprägt haben. Immer wieder werden Suvorins Berichte zur Lebensbeichte eines Mannes, der elegisch eine gewisse Todessehnsucht zu erkennen gibt. Und da ist die tiefe Traurigkeit über den Unfalltod seiner Frau. Sie war seine große Liebe und nach ihrem Verlust konnte er nicht mehr spielen.
„Ich habe, was ich haben wollte, gehabt, uznd was mich hätte umbringen können, überlebt.“ So lebt er zurückgezogen in einer unordentlichen Wohnung, zurückgezogen aber auch ins Innere, in die Sehnsucht nach der Liebe, die nicht wiederkommen wird. Und selbst die erwachsenen Kinder sind so unerreichbar wie sein Sehnsuchtsort San Remo. Dem Schriftsteller aber öffnet er sich mit der Offenbarungslust eines Bruders im Geiste, denn die Kunst und die Freiheit des künstlerischen Seins sind die Metaphern ihres Lebens.
Intensiv und nachdenklich kommt dieser Roman daher, der eigentlich gar keiner ist sondern eher eine Lebensbeichte zweier Relikte aus einer nur noch erinnerten Zeit. Der Pianist, der zuletzt nur noch spielen konnte, wenn Applaus verboten war, und der Schriftsteller, der auf ebenso genialische wie narzisstische Phasen zurückschaut – sie verschwimmen miteinander in diesem stilistisch so eleganten wie sprachgewaltigen Künstlerroman.

# Wolf Wondratschek: Selbstbild mit russischem Klavier; 271 Seiten; Ullstein Verlag, Berlin; € 20

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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