JOE HAGAN: „STICKY FINGERS“


Als im November 1967 in San Francisco die erste Ausgabe des Magazins „Roling Stone“ erschien, war der Aufbruch der jungen Generation in vollem Schwange. Musik befeuerte die Jugendrevolution und der gerade 21-jährige Jann Wenner gründete das wichtigste Propagandainstrument dafür.
Zum 50. Geburtstag des noch immer von ihm beherrschten Magazins wollte er dessen Geschichte – und seine eigene, untrennbar damit verbundene – in einer Art Doppelbiografie zusammengefasst bekommen. Er beauftragte den Spitzenjournalisten Joe Hagan damit und räumte ihm den Zugang zu sämtlichen dank seiner Kontrollsucht sehr umfangreichen Unterlagen ein.
Und – distanzierte sich sofort, als das Buch unter dem Titel „Sticky Fingers. Wie Jann Wenner und das Rolling Stone Magazin Musikgeschichte geschrieben haben“ veröffentlicht wurde. Was allerdings für die Qualität des Werkes spricht, denn das ist dank Hagans schonungsloser Detailarbeit nicht zu der befürchteten Hagiografie des äußerlich eher unscheinbaren Wenner geraten.
Vielmehr macht der Autor schon in der Einleitung klar: „Wenner ist ein zutiefst narzisstischer Mensch, für den die ultimative Bestätigung seiner Existenz in der Berühmtheit liegt.“ Die allerdings in den wild bewegten Anfängen mehr die der ins respektlose und immer wieder innovative Blatt genommenen Stars insbesondere der unbändig wogenden Musikszene präsentierten.
Dabei wurden gerade auch die Cover des Rolling Stone regelrechte Ikonen und Annie Leibovitz knipste sich mit legendären, gern auch skandalösen Aufnahmen zu Weltruhm. Dass dabei Mick Jagger besonders häufig zu sehen war, lag nicht nur an der engen Freundschaft zu Wenner, schließlich gab es durchaus Namensreibereien zwischen dem Magazin und den Rolling Stones, die den Namen ja bereits seit 1962 führten.
50 Jahre Musik- und Kulturgeschichte überspannt Joe Hagan vom Rolling Stone als leuchtendem Kampfblatt der Rock- & Roll-Ära und die rauschhaften 70er Jahre über die exaltierten Zeiten der 80er mit dem Umzug des Magazins nach New York bis in die jüngeren Jahrzehnte, in dennen große Musik fast nur noch in nostalgischen Geschichten stattfindet.
Zupackend und deftig schildert der Autor die unzähligen Protagonisten, bei denen allerdings Größen wie Jagger, Lennon, Springsteen oder Hunter S. Thompson besonders häufig vorkommen. Wenner selbst erscheint als selbstherrlicher, streitsüchtiger und in ziemlich jeder Hinsicht gieriger Guru. Mit einer klaren Manie: „Je wichtiger der Name, desto größer der Dopamin-Ausstoß, desto dringender wollte Jann Wenner ihn in seinem persönlichen Jahrbuch Rolling Stone verewigt wissen.“
Selbstredend sind fast ständig Drogen im Spiel und beim Sex geht es derartig querbeet zu, dass zuweilen der Überblick verloren geht. Gerade aus diesen Bereichen kommen denn auch einige bis´her kaum bekannte pikante Dinge zutage. Wie jene heikle Nacht von 1975, in der Mick Jagger um ein Haar durch Heroin gestorben wäre, oder die erstaunliche Affäre des überwiegend homosexuellen Wenners mit dem Frauenschwarm Richard Gere.
Fast könnte man sagen, dass Promis – übrigens immer wieder auch politische bis hin zu Präsidenten - die in diesem Buch nicht erwähnt werden, regelrecht beleidigt sein müssten, denn die meinungsbildende Bedeutung des Magazins hält selbst heute noch an, auch wenn sie vom Zeitgeist einer revolutionären Gegenkultur zum schillernden und immer noch gern skandalösen Aushängeschild einer geldgeilen Unterhaltungsindustrie verödet ist.
Fazit: keine Biografie im eigentlichen Sinne, aber die – zum Glück unautorisierte - Geschichte eines der prägendsten Magazine der letzten Jahrzehnte, die nicht zuletzt auch dank 235 Interviews mit Zeitzeugen tiefe und ganz und gar ungeschönte Einblicke in eine einzigartige Szene dokumentiert.

# Joe Hagan: Sticky Fingers. Wie Jann Wenner und das Rolling Stone Magazin Musikgeschichte geschrieben haben (aus dem Amerikanischen von Friederike Moldenhauer); 671 Seiten, div. SW-Abb.; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 28


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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