MAGALI NIERADKA-STEINER: „EXIL UNTER PALMEN“


Von 1933 bis 1940 war das kleine Fischerdorf Sanary-sur-Mer nahe Toulon gewissermaßen die Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur. Eine große Gedenktafel am Tourismusbüro zählt heute 68 Namen von namhaften Künstlern und Intellektuellen auf.
Die deutsch-französische Literaturwissenschaftlerin Magali Nieradka-Steiner hat diese außergewöhnliche Ära eingehend untersucht und in dem Buch „Exil unter Palmen. Deutsche Emigranten in Sanary-sur-Mer“ beschrieben. Sie hat selbst eine Zeitlang in der Region gelebt und intensive Forschungsarbeit betrieben.
Was sich in beeindruckender Weise in dem Werk niederschlägt, denn zu vielen bekannten Fakten kommen so neben viel Zeit- und Lokalkolorit auch immer wieder Originalzitate aus Tagebüchern und Texten der Betroffenen aber auch Auszüge aus amtlichen Dokumenten.
Der erste namhafte Schriftsteller, der den noch heute wunderschönen Fischerort schon Ende der 20er Jahre quasi für sich „entdeckte“, war Aldous Huxley, der später weltberühmte Autor von Werken wie „Schöne neue Welt“. Und als nach Hitlers Machtergreifung 1933 die ersten deutschsprachigen Kollegen hierher strömten, gab es schon einige deutsche Intellektuelle in der Region.
Vor allem Thomas Mann aber motivierte viele, in diesem Dorf an der Côte d'Azur ins Exil zu gehen. Das Klima ist stets milde, vor allem jedoch waren die Lebenshaltungskosten ungleich günstiger als in Paris oder Marseille. Die Autorin stellt jedoch zunächst den Ort – heute ein charmantes Städtchen mit viel Sinn für Kultur bei rund 16.000 Einwohnern – sowie die Landschaft und die Zeit vor 1933 vor.
Als dann die Exilanten hereinströmten, ließen die Einheimischen sie freundlich gleichmütig gewähren. Dabei war es eine sehr vielschichtige Gesellschaft, die sich da samt Familien ansammelte und auch zu Dauergästen in den drei Lokalen vor Ort wurde. Nobelpreisträger Thomas Mann, der quasi den gesamten Clan mit den vielen ebenfalls bekannten Literaten mitbrachte, mietete sich die Villa „La Tranquille“ mit Meeresblick.
Auch andere Bestsellerautoren wie Lion Feuchtwanger und Franz Werfel konnten sich dank internationaler Tantiemen und im Ausland angelegter Vermögen ein Wohlergehen leisten. Doch die Namen der 68, die zumindest zeitweise hier wie in einem Sommerurlaub weilten, reicht von Ernst Block und Bert Brecht bis zu Arnold und Stefan Zweig. Für viele von ihnen kam das schriftstellerische Schaffen ebenso zum Stillstand wie die Möglichkeit, mit ihren Werken Einkommen zu erzielen.
So stellte Hermann Kesten später sarkastisch fest, dass da Literaturmillionäre neben literarischen Exilbettlern lebten. Das kulturelle Leben pulsierte gleichwohl, auch wenn manche der Künstler schwer unter der Entwurzelung litten. Doch immerhin konnten die „Kadaver auf Urlaub“, wie Propagandaminister Joseph Goebbels sie in Berlin schmähte, sich in Sicherheit wähnen.
Bis sich ab 1938 wegen des Säbelrasselns des Deutschen Reichs eine krankhafte Sorge vor Spionen unter der einheimischen Bevölkerung ausbreitete. Und bei Kriegsausbruch wurden selbst bei der trägen Verwaltung aus „deutschen Staatsbürgern“ nun „feindliche Ausländer“. Die Wende zum Schlechten ging noch weiter mit der Eroberung Frankreichs durch die Wehrmacht im Mai 1940 mit teils dramatischen Folgen für Exilanten.
Viele waren nicht rechtzeitig aus dem sonnigen Exil entkommen, etliche wurden interniert und konnten nur unter abenteuerlichen Umständen entfliehen, und für einige bedeutet es das Ende. Die Autorin schildert all dies geradezu romanhaft spannend und setzt es zugleich in höchst atmosphärische Beschreibungen.
Fazit: eine spektakuläre Ära wird hier authentisch dargestellt mit einer Fülle von Personal, das sich gegenseitig ein Einzigartigkeit überbietet. Und wer dieses Buch genossen hat, sollte das noch immer idyllische Städtchen mit seinen schönen Gassen, den Märkten, Läden und Galerien aufsuchen und selbstverständlich auch den ausgeschilderten Rundgang zu all den Wohnsitzen der Exilanten unternehmen.

# Magali Nieradka-Steiner: Exil unter Palmen. Deutsche Emigranten in Sanary-sur-Mer; 272 Seiten, div. SW-Abb.; Theiss Verlag, Darmstadt; € 24,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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