RUTH JONES: „ALLES BEGEHREN“


1985 ist Callum McGregor bereits zehn Jahre lang glücklich verheiratet mit der schönen Belinda und nun mit 39 steht die Geburt des dritten Kindes bald bevor.
Abends hilft der Gymnasiallehrer und ehemalige Rugbyspieler zuweilen bei seinem Bruder im Pub aus.
An diesem einen Abend verspätet sich die angeheuerte Aushilfe so sehr, dass Callum noch bleibt. Bis diese 22-jährige angehende Schauspielerin Kate Andrews endlich hereinwirbelt. Und wenige Stunden später hat eine geradezu beängstigende Anziehungskraft den zufriedenen Familienvater und die höchst attraktive junge Frau in eine Amour getrieben, die zumindest das Leben des sonst so unerschütterlich gelassenen Callum völlig auf den Kopf stellt.
Damit beginnt Ruth Jones ihren Debütroman „Alles Begehren“ und man darf eines vorausschicken: dies ist nicht wirklich ein Liebesroman und auch nicht ein sogenannter Frauenroman. Von schlechtem Gewissen und Reue geplagt, bringt es Callum nicht fertig, der gierigen und rücksichtslosen Kate zu widerstehen, weil seine eigene Begierde nach dem mitreißenden Sex mit ihr einfach viel zu groß ist.
Geradezu zwangsläufig fliegt die Affäre auf, doch der reumütige Callum findet in der großartigen Belinda eine verzeihende Richterin und es gelingt tatsächlich eine Wiederherstellung des Familienglücks. Und dann springt die Handlung in das Jahr 2002, die McGregors sind immer noch eine blühende Familie, den Sündenfall hat Belinda zwar nie vergessen, aber eben vergeben. Kate Andrews hat derweil eine steile Karriere als Schauspielerin gemacht, privat aber tut sie sich schwer in ihrer Ehe mit dem toleranten Matt und der kleinen Tochter.
Anfälle von Depressionen und Selbstkasteiungen mittels Fitnesstraining bei gleichzeitigen Essstörungen und dem Griff zur Flasche sind Ausdruck ihrer inneren Unzufriedenheit. Und dann muss die populäre 39-Jährige einen Pflichttermin absolvieren: einen PR-Besuch an ihrer alten Schule in Edinburgh. Was sie nicht ahnt: Callum ist vor einigen Jahren als stellvertretender Direktor dorthin gewechselt.
Ihre Wiederbegegnung setzt einen Tsunami der aufrauschenden Gefühle frei: „Wie Elektrizität nach einem Stromausfall. Die Lichter gingen wieder an.“ Sofort riskieren sie erneut Kopf und Kragen und diesmal zerbrechen gleich zwei Familien an dieser Zügellosigkeit. Belindas alter Groll kocht hoch, zumal auch noch herauskommt, dass Kate damals schwanger von Callum war und dieses Kind zur Adoption weggegeben hat.
Das Alles wogt packend und dramatisch hin und her und Ruth Jones als versierte Drehbuchautorin ist eine exzellente Dramaturgie des ohnehin filmreifen Romans gelungen. Von Beginn an überzeugen die Charaktere und auch die „Nebenrollen“ sind vorzüglich besetzt. Das Alles wird schnörkellos erzählt, wobei die Autorin das Knistern zwischen Callum und Kate höchst sinnlich spürbar macht.
Zugleich zeigt das Geschehen viel Lebensnähe, denn die vielen kleinen und großen zwischenmenschlichen Verfehlungen passieren ja nicht aus Bosheit sondern aus Schwäche. Was niemanden entschuldigt, vieles aber verstehbar und zugleich so schmerzlich macht. Fazit: ein glänzendes Debüt der walisischen Schauspielerin und Drehbuchautorin.

# Ruth Jones: Alles Begehren (aus dem Englischen von Julia Walther); 480 Seiten; HarperCollins Verlag, Hamburg; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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