STEPHEN PARKER: „BRECHT - EINE BIOGRAFIE“


Es gibt sachliche wie auch ideologisch gefärbte Biographien zu Bert Brecht (1898-1956), nun aber liegt das wohl ultimative Werk zum Leben und Wirken des großen Dramatikers und Theatererneuerers vor. Unter dem schlichten Titel „Brecht – Eine Biographie“ hat sie Stephen Parker verfasst.
Der Professor für Germanistik an der Universität von Manchester wertete dazu das gesamte verfügbare Wissen über den Autor und dessen Arbeit aus. Ein besonderer Ansatz war dabei, dass er neben unveröffentlichtem Archivmaterial aus DDR-Zeiten insbesondere die lebenslange Krankengeschichte Brechts einfließen ließ. Wie bedeutsam diese für die gesamte Vita war, drückt Parker plastisch aus als „Brechts Erfahrung seines Körpers als ein Schlachtfeld“.
Die so große kreative Sensibilität – bei gleichzeitiger kaltschnäuziger Amoralität – habe sich früh bei dem kränklichen Kind gezeigt. Herzprobleme, Nierenleiden und immer wieder Infektionen begleiteten den Dichter, der zugleich eine „ungezügelte Promiskuität“ auslebte, bis zu seinem mit 58 Jahren Herztod. Das erkläre auch in der ständigen Erwartung eines frühen Ablebens sein ständiges Schwanken zwischen Morbidität und schrankenloser Vitalität.
Schon die Frühgeschichte Brechts mit genialischem Schreiben und politischem Aufbegehren wird mit immenser Detailfreude und dennoch unterhaltsam lesbar erarbeitet. Schon früh begann der Dichter und Dramatiker mehr als nur ein ungeheuer umfangreiches und vielfältiges Werk zu schaffen. Eine entscheidende Großtat aber wurde seine Revolution des Theaters. Als überzeugter Kommunist – der aber nie einer Partei beitrat – glaubte er an die Überwindung der Klassen. Und setzte sich im dänischen Exil in den 30er Jahren zum Beispiel mit dem „Leben des Galilei“ erbittert mit dem reaktionären Stalinismus auseinander.
Entscheidend für sein Schaffen waren dabei stets auch die Frauen in seinem Leben. Der Biograph analysiert vor allem die Beziehungen, die Brechts Schaffen unmittelbar prägten wie die beiden Ehefrauen Marianne Zoff und die große Helene Weigel. Mindestens so unentbehrlich aber waren auch die dauerhaften Begleiterinnen Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin und später Ruth Berlau. Allesamt waren sie auch Geliebte des arbeitswütigen Satyrs und Künstlers, insbesondere jedoch als professionelle Mitarbeiterinnen so intensiv involviert, dass wesentliche Teile solch wegweisender Werke wie „Der kaukasische Kreidekreis“ oder „Der gute Mensch von Szechuan“ von ihnen teils mitverfasst wurden.
Der schmerzliche Bruch, mit dem das Exil in den USA für den sprachgewaltigen Dichter von den Möglichkeiten seiner Heimatsprache isolierte, und sein dennoch reiches Schaffen auch in dieser Epoche, hat Stephen Parker dann ebenso detailliert untersucht wie die politischen Fährnisse mit den antikommunistischen Kräften in Nachkriegsamerika. Und schließlich das bewegte und ebenso gefährliche wie spannende Wirken als Bürger der DDR, wenngleich mit jetzt österreichischem Pass und Konto in der Schweiz.
Brecht war ein Egomane, der Menschen an sich zu binden und auszunutzen verstand. Was ihm gerade auch in den ständigen Kämpfen mit der Obrigkeit in der DDR beim Überleben half. Als „marxistischer Häretiker“ immer wieder unter Druck stehend, war er politisch selbst zu windelweichen Kompromissen bereit, nie jedoch in künstlerischen Fragen. Und er obsiegte in dieser Hinsicht als wegweisender Revolutionär der Theaterkunst.
Stephen Parker hat die ungeheure Fülle des Materials auf ebenso objektive wie spannende Weise bewältigt. Sämtliche Lebensstationen und Schaffensperioden finden eine von ideologischen Ansätzen freie Betrachtung, die das Gesamtbild dieses Titanen angemessen erscheinen lassen. Man muss Bertolt Brecht schließlich nicht lieben, doch größte Bewunderung für das Schaffen und die Wirkung des bis heute nach Shakespeare meistgespielten Theaterautors ist allemal gerechtfertigt. Diese brillante Biographie macht sie möglich und sie ist auch für sich selbst ein großartiges Meisterwerk des Genres.

# Stephen Parker: Brecht – Eine Biographie (aus dem Englischen von Ulrich Fries und Irmgard Müller); 1030 Seiten, Suhrkamp Verlag, Berlin; € 58

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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