JO BAKER: EIN IRE IN
PARIS
Über seine Zeit in dem von den Nazis besetzten Paris hat der spätere
Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett (1906-1989) wenig und ungern gesprochen. Um so
fesselnder ist deshalb Jo Bakers Ansatz in ihrem Roman Ein Ire in Paris, denn
der ist fiktiv und doch ebenso biografisch.
Kurz vor dem Einmarsch der Wehrmacht im Frühsommer 1940 zog es den irischen
Schriftsteller aus der Sicherheit des heimischen Dublins zurück zu seiner französischen
Geliebten Suzanne Dechevaux-Dumesnil (1900-1989), eine Pianistin, die später auch seine
Ehefrau wurde. Sie hielt ihm den Rücken frei und ermunterte den Grübler, der unter dem
Schatten des großen Landsmannes James Joyce aber auch unter seinen eigenen Zweifeln litt.
Doch Beckett hat eine Schreibblockade, fühlt sich nutzlos. Und schließt sich
schließlich der Résistance an, für die er Kurierdienste leistet. Was lebensgefährlich
wird, denn die Gestapo scheint überall zu sein. Als Becketts Gruppe dann auch noch
verraten wird, hilft nur die Flucht. Die ungeheuer strapaziös wird und das Paar in die
Vaucluses führt.
Endlose Fußmärsche, heikle Bahnfahrten, Schlafen in Heuschobern, Hunger und Kälte
gehören dazu. Endloses Warten zermürbt und schärft zugleich die Sinne. Als Beckett dann
auch noch vom Tod des übergroßen Joyce hört, erwacht ein neuer Geist in ihm und aus
seinen an Psychosen grenzenden Grübeleien beginnen die Worte aufs Papier zu fließen.
Und der sensiblen Erfolgsautorin Jo Baker gelingt ein packendes und überaus reales
Eindringen in die komplexe Gedankenwelt des für seinen Hang zu Einzelgängertum und
Sprödigkeit bekannten Meisters der Worte. Da wird der Originaltitel A Country Road,
a Tree zur verständnisinnigen Metapher, denn das Erleben dieser Jahre wird nirgends
eindrucksvoller demonstriert als in Warten auf Godot in genau solch einer
Szenerie.
Dieser gewagte Roman lässt erahnen, wie Beckett den Weg zu seinem weltberühmten Werk
fand. Doch Baker hat dabei nicht wild spekuliert, vielmehr ist ihr Psychogramm des
Sprachmagiers auf intensiven Recherchen des umfangreichen Quellenmaterials über sein
vielfältiges Schaffen aufgebaut.
Beckett bleibt ein Rätsel und doch erhellt dieser nicht wirklich fiktive Roman die am
wenigsten bekannte Epoche seines Lebens auf glaubhafte Weise. Und selbst, wer daran
zweifelt, dass alles so geschehen ist, hält doch ein großartig erzähltes
anspruchsvolles Stück Literatur in den Händen.
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