PETER FRANKOPAN: „KRIEGSPILGER“


Am 27. November 1095 hielt Papst Urban II. im französischen Clermont eine der folgenreichsten Reden der Weltgeschichte. Er rief die Ritterschaft auf zum Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems von den dort wütenden Heiden und schätzungsweise 80.000 christliche Krieger machten sich 1096 auf den Weg.
Die Rede Urbans gilt als rhetorisches Meisterstück und sie bewirkte eine unglaubliche Begeisterung. Und tatsächlich erreichte das europäische Kreuzfahrerheer am 15. Juli 1099 das ausgegebene Ziel: Jerusalem wurde befreit! Doch dies wie auch all die Befreiungskämpfe von ehemals christlichen Städten wie Nicäa und Antiochia, noch mehr aber die Entsendung in dieser frühen Form eines „Heiligen Krieges“ wurden bisher maßgeblich nur aus westlicher Perspektive dargestellt.
Peter Frankopan, britischer Historiker und unter anderem Leiter des Zentrums für Byzantinische Studien an der Universität Oxford, sorgt nun mit seinem Sachbuch „Kriegspilger“ für eine längst überfällige Revision. Zwar gibt es inzwischen auch fundierte Studien aus arabischer Sicht, die manche Darstellungen der damaligen Berichterstatter – begleitende Mönche und auch beteiligte Christenkrieger – in ein objektiveres Licht stellen. Frankopan aber untersucht vor allem die tatsächlichen Auslöser des ersten Kreuzzuges, der der Geschichte der folgenden Jahrhunderte eine so gravierend andere Richtung gab.
Frankopan rückt eine eher negativ besetzte und zu wenig beachtete maßgebliche Persönlichkeit jener Ereignisse in den Mittelpunkt: Alexios I. Komnenos, Kaiser des Byzantinischen Reiches. Dessen Macht geriet vor allem durch die einströmenden türkischen Seldschuken in immer größere Bedrängnis, denn sie eroberten weite Teile Vorderasiens. In höchster Not wandte er sich an Papst Urban – dessen Macht im Schisma mit dem Gegenpapst ebenfalls wankte – mit seinem Hilferuf.
Jeder hatte also seine eigenen Machtinteressen aber auch gemeinsame. Und ihre Hetze fruchtete in unerwartetem Maße mit dem damaligen Zauberwort Jerusalem. Was der Byzantinist nun über den Kreuzzug, die Machtwirren der Ritter untereinander und in Konstantinopel schreibt, schwärzt das einst so ehrenvoll herausgestrichene Bild der Befreier des Heiligen Landes noch weiter ein. Kaum ein Drittel des Kreuzfahrerheeres erreichte Jerusalem und dessen Eroberung gipfelte in einer der barbarischsten Blutorgien der Geschichte.
Rehabilitiert wird hier nicht nur in erheblichem Maße Alexios, auch seine Feldherren werden in ein realistischeres Licht gerückt. Die Quellenlage war schwierig, doch Frankopan stützte sich in starkem Maße auf die „Alexiade“. Diese Geschichte der Ära verfasste Alexios' Tochter Anna Komnena und sie gibt ein anderes Bild vieler Entwicklungen ab. Größtes Manko ihrer Ausführungen ist dabei allerdings, dass sie ihre Niederschrift erst viel später und mit teils selbst eingestandenen Ungenauigkeiten tätigte.
Und doch bietet der östliche Blickwinkel – gerade auch in Hinsicht auf die neuere arabische Geschichtsschreibung – die Möglichkeit für wichtige Neuinterpretationen von Personen und Vorgängen. Und manche Annahmen finden zusätzliche Unterstützung wie die, dass der erfolgreiche Kreuzzug die weltliche Macht des Papsttums wesentlich stärkte. Fazit: eine sehr anschauliche und spannende Geschichtsschreibung, die manche neue Erkenntnisse und Sichtweisen beschert.

# Peter Frankopan: Kriegspilger (aus dem Englischen von Norbert Juraschitz); 387 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Berlin; € 26,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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