AXEL RANISCH: „NACKT ÜBER BERLIN“


Axel Ranisch ist Filmregisseur, Opernintendant und als Schauspieler unter anderem der dickliche verschmitzte Kommissar Schröder aus den „Zorn“-Fernsehkrimis. Nun hat das junge Multitalent mit „Nackt über Berlin“ seinen ersten Roman vorgelegt und der ist so großartig geworden, dass er dafür den Debütpreis des renommierten Literaturfestivals „LitCologne 2018“ bekam.
Auch wenn die Hauptfiguren zwei 17-jährige Berliner Schüler sind, handelt es sich durchaus nicht nur um einen Jugendroman sondern um eine ebenso pfiffige wie spannende Tragikomödie. Die beginnt mit drolligem Witz, wenn der übergewichtige Jannik die Abwesenheit der Eltern für die Liebe an und für sich nutzt und dies als großer Klassik-Fan zu Rachmaninoffs Sinfonischen Tänzen op. 45 „Der Morgen“ genießt. Doch unerwartet platzt Mama rein und es folgt ein Musterbeispiel elterlicher Unsensibilität.
Dann aber kommt Tai ins Spiel, der schöne zierliche Klassenkamerad mit vietnamesischen Wurzeln: Computer-Freak mit Camcorder, Pokerface und sehr dominant. Außenseiter sind „Fetti und Fidschi“, wie die Mitschüler sie wenig freundlich nennen, beide. Und Tai, den Ich-Erzähler Jannik mächtig verklemmt heimlich anhimmelt, ruft ihn nächstens an die Spree. Er hat ihren Schuldirektor Lamprecht sturzbesoffen und mit nacktem Hintern vor der Kamera.
Das höchst unsympathische „zynische Sackgesicht“ schleppen sie nun zu seiner Wohnung im 24. Stock eines Luxuswohnhauses. Tai versteht es, den quasi Besinnungslosen in dieser Hochsicherheitswohnung einzusperren. Einen Festnetzanschluss gibt es in der eben erst bezogenen Wohnung noch nicht und Lamprechts Handy entsorgt Tai. Es soll ja nur ein Scherz sein, gleichwohl ist dem schüchternen Jannik gar nicht wohl dabei. Vor allem, als sein Schwarm das Ganze mit viel Raffinesse noch deutlich ausbaut. Aber – so viel Nähe zu Tai kann er einfach nicht aufs Spiel setzen.
Lamprecht, der seine langjährige Ehe ebenso versemmelt hat wie die Zuneigung seines Sohnes, erkennt allmählich, dass er ein Gefangener ist, und es entspinnt sich eine angespannte Kommunikation per Laptop mit den rätselhaften Entführern, die immer mehr zu einem herben Seelenstriptease wird. Doch Jannik und Tai sind weit mehr als nur eine Art moderner Dick-&-Doof-Verschnitt, zumal sich allmählich abzeichnet, dass Pokerface Tai eventuell mehr als nur einen happigen Scherz mit der „Inhaftierung“ geplant hat und es da auch noch den Selbstmord einer Mitschülerin nach einer Affäre mit einem Lehrer gab.
Aber auch die Passagen mit den Familien der Teenager einschließlich einer Oma mit abgebrochener Seebestattung fesseln mit hinreißenden Wendungen. Axel Ranisch gibt seinen Figuren interessante Konturen und schafft einen schillernden und rundum gelungenen Potpourri um Homosexualität, Pubertät, Liebeskummer, Schuldgefühlen und Freundschaft.
Fazit: diese ebenso verrückte wie knackig frech erzählte Liebesgeschichte ist erstens ein literarisches Juwel, zweitens eine spannende Angelegenheit und drittens wahrlich nicht „nur“ für Jugendliche ab etwa 15 Jahre ein großartiges Lesevergnügen.

# Axel Ranisch: Nackt über Berlin; 380 Seiten; Ullstein fünf, Berlin; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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