NICOLE KRAUSS: „WALDES DUNKEL“


„Waldes Dunkel“ heißt der neue Roman von US-Erfolgsautorin Nicole Krauss. Sie selbst merkt an, dass der Titel aus Dantes „Göttlicher Komödie“ herrührt. Die beiden Hauptprotagonisten darin haben nichts miteinander zu tun und begegnen sich auch nie.
Beide aber sind gleichermaßen Suchende, die vom Weg abkommen ganz dem Anfang des Dante-Werkes entsprechend: „Ich fand auf unseres Lebensweges Mitte/in eines Waldes Dunkel mich verschlagen/weil sich vom rechten Pfad verirrt die Schritte“. Der eine Sinnsuchende ist der reiche Rechtsanwalt Jules Epstein aus New York, 68. In der Leere des Seins nach seiner Scheidung, befällt ihn eine „unwiderstehliche Sehnsucht nach Leichtigkeit“.
So hat er seine Kanzlei verlassen, entäußert sich durch Stiftungen und Verschenken seines Vermögens – natürlich zum Verdruss seiner Kindern – und wendet sich seinem lange völlig vernachlässigtem Judentum zu. Wofür er nach Israel fliegt und an den ebenso charismatischen wie schrägen Rabbiner Menachem Klausner gerät. Und mit ihm in eine überkandidelten König-Davis-Verfilmung.
In den Bergen Galiläas und angezogen von den Lehren der Kabbala zieht es Epstein unentrinnbar auf einen anderen Lebensweg bis hin zum Traum von der Aufforstung der Negev-Wüste. Wie zu Urväters Zeiten sollen dort die einst zu Davids Zeiten blühenden dunklen Wälder wieder entstehen. Und in dem Gefühl, ein echter Nachfahre des Königs zu sein, verlieren sich Epsteins Spuren schließlich.
Eine mindestens ähnlich religiös-philosophische Odyssee aber eröffnet sich auch für die zweite Hauptfigur. Wenn die wie die Autorin selbst Nicole Krauss heißt, Schriftstellerin ist und sich vom Ehemann getrennt hat, erinnert das zwingend daran, dass Krauss immer wieder gern eine autobiografische Grundierung für ihre Romane bevorzugt.
Hier nun treibt es die Ich-Erzählerin aus Verwirrung und Leere nach Tel Aviv just in jenes Hilton Hotel, in dem sie nicht nur viele schöne Ferien mit ihren Eltern verbrachte – in diesem Hause wurde sie sogar gezeugt. Einen Roman will sie über dieses Hotel schreiben, doch es kommt völlig anders, denn sie begegnet Eliezer Friedman. Der alte Literaturprofessor, dem eine Mossad-Vergangenheit nachgesagt wird, verführt sie zu einer gänzlich neuen Weichenstellung ihres Lebens.
Er bringt sie zu einer abgelegenen Hütte in der Negev-Wüste, die ein Geheimnis birgt. In ihr habe einst Franz Kafka viele Jahre glücklich als Gärtner gelebt. Der Schriftsteller sei in Wahrheit nicht 1924 in Prag gestorben, sondern durch Eingeweihte heimlich ins damalige Palästina gebracht worden. In der Wüste sei er von der Tuberkulose genesen und auch von seiner kranken Psyche. Gleichwohl präsentiert Friedman Nicole einen Koffer mit der angeblichen Hinterlassenschaft des berühmten Schriftstellers.
Der Roman entfaltet mit den Kafka-Passagen einen ebenso faszinierenden wie abgedrehten Nebenerzählstrang, wie die Geschichte gegen Ende ohnehin immer kafkaesker wird. Ob Epstein oder Krauss, beide kommen vom Weg ab, verlieren sich selbst und gewinnen doch ungemein hinzu.
Das gestaltet sich mal hochintellektuell, dann wieder mystisch und existenziell und folgt nur bedingt einem klaren roten Faden. Geschrieben ist dieser außerordentlich anspruchsvolle Roman in exquisitem Stil, setzt aber zugleich beim Leser ein hohes Bildungsniveau voraus. Und bietet dafür ein literarisches Meisterwerk von höchsten Graden.

# Nicole Krauss: Waldes Dunkel (aus dem Amerikanischen von Grete Osterwald); 379 Seiten; Rowohlt Verlag, Reinbek; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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