COLLEEN OAKLEY: „DIE KURIOSEN SYMPTOME DER LIEBE“


Das Martyrium von Jubilee Jenkins begann schon im Kleinkindalter. Ausschläge, Schmerzen und Juckreiz quälten sie immer öfter. Sie erleidet sogar lebensbedrohliche Schockzustände. Erst nach Jahren stößt ein Allergologe auf die Ursache: auf Grund eines Gen-Defekts kommt es bei Jubilee zum allergischen Kontaktekzem des Typs 4. Ausgelöst durch jegliche Berührung mit anderen Menschen.
Mit einem Artikel über das Schicksal des Mädchens in der New York Times beginnt Colleen Oakleys Debüt „Die kuriosen Symptome der Liebe“. Eines sei gleich vorweg gesagt: diese Wahl des deutschen Titels ist schlichtweg dämlich und wird dem Roman überhaupt nicht gerecht. Das, was Ich-Erzählerin Jubilee hier schildert, ist keine weichgespülte Liebes-Schmonzette sondern überwiegend eine Leidensgeschichte, die es in sich hat.
Zur Schule kann das Mädchen nur in möglichst schützender Kleidung und mit Handschuhen gehen. Womit sie selbstverständlich zur gemiedenen Außenseiterin wird. Ihre alleinerziehende Mutter muss ebenfalls jeden körperlichen Kontakt zu ihr meiden, zeigt sich ihr gegenüber aber ohnehin recht spröde, während sie andererseits allerlei Affären genießt. Zudem leidet Jubilee, die sich in ihre Bücherwelt verkriecht, unter der Weigerung der Mutter, ihr ihren Vater zu benennen.
Mit 17 schließlich, nur Wochen vorm Highschool-Abschluss, geschieht dann ein haarsträubender Vorfall mit weitreichenden Folgen. Donovan Kingsley, Mädchenschwarm der Schule, lässt sich zu einer dümmlichen Wette überreden – die hübsche Außenseiterin vor aller Augen zu küssen. Was sofort einen anaphylaktischen Schock bei ihr auflöst und sie beinahe umbringt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus verlässt Jubilee nun gar nicht mehr das Haus.
Und muss bald den nächsten Schlag hinnehmen, denn die Mutter heiratet ihren neuesten Liebhaber, den Tankstellenbesitzer Lenny. Mit dem sie nun nach Long Island zieht, also recht weit weg. Wobei sie der Tochter allerdings ihr Haus überlässt und regelmäßig Schecks für den Unterhalt schickt. Jubilee entwickelt Strategien für eine Lebensführung, bei der sie überhaupt nicht mehr nach draußen muss, und sie macht sogar einige Abschlüsse an Fernuniversitäten.
Neun Jahre vegetiert sie so als Einsiedlerin vor sich hin, bis der Schockanruf kommt: die Mutter ist gestorben. Womit auch die Schecks entfallen und die mittlerweile 26-Jährige gezwungen ist, sich auf Jobsuche zu begeben. Was zum Himmelfahrtskommando zur Überwindung all der aufgebauten Ängste wird. Allerdings verhilft ihr wenigstens eine alte Klassenkameradin zu einer Anstellung in der Bibliothek.
Hier nun entsteht ein Kontakt zu einem merkwürdigen Jungen, der Jubilee ein wenig aus ihrer Einsamkeit zieht. Dieser Aja ist zehn Jahre alt, hat vor einiger Zeit beide Eltern verloren und wurde von deren bestem Freund Eric Keegan adoptiert. Auch wenn es nicht deutlich gesagt wird, deuten die teils aberwitzigen Interessen und Verhaltensweisen und seine extreme Kontaktscheu beim ihm auf das Asperger-Syndrom hin.
Diese beiden Außenseiter verstehen einander auf Anhieb, doch auch der sanfte Eric und Jubilee mögen einander auf scheue Weise. Der jüngst Geschiedene leidet noch sehr unter der Trennung und daran, dass seine Tochter jeden Kontakt ablehnt. Allmählich entstehen dann auch tiefere, wenn auch uneingestandene Gefühle zwischen Jubilee und Eric.
Doch wie soll eine junge Frau ihren lange verdrängten Sehnsüchten nachgeben, wenn schon jede Hautberührung den Tod bedeuten würde? Colleen Oakley gelingt es auf beeindruckende Weise, die intensive Isolation und die vielfältigen psychologischen Probleme zu einem Kampf um Normalität und gegen das Selbstmitleid werden zu lassen. Dank der großartig gezeichneten Charaktere, der sehr natürlichen Sprache und mit einem raffinierten Trick endet dieser bewegende und doch niemals erdrückende Roman wohltuend und ohne jeden Kitsch.

# Colleen Oakley: Die kuriosen Symptome der Liebe (aus dem Amerikanischen von Stefanie Retterbush); 479 Seiten; Wunderraum Verlag, München; € 23


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1293 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de