HANS PLESCHINSKI: „WIESENSTEIN“


In seinen noch heute viel gespielten Dramen wie „Die Weber“, „Die Ratten“ oder „Der Biberpelz“ beschrieb Gerhart Hauptmann (1862-1946) wie kaum ein Anderer Leid, Elend und Verzweilung der Ausgebeuteten. Doch nur wenige wissen, dass der Literatur-Nobelpreisträger von 1912 mit seinen zahlreichen Werken nicht nur reich wurde, sondern bis zuletzt großem Luxus frönte.
Die letzten Jahre, in denen der altersschwache und kranke Meister des Naturalismus selbst im Angesichte des Untergangs seines Landes noch alle Annehmlichkeiten seiner prachtvollen Villa im Riesengebirge samt Butler, Köchin, Zofe und dem unverzichtbaren Masseur genoss, hat Hans Pleschinski zu einem großen Roman zusammengefasst. „Wiesenstein“ lautet der Titel, denn so hieß die Villa im schlesischen Agnetendorf.
Nach seinem Erfolgsroman „Königsallee“, in dem Pleschinski die Begegnung des greisen Thomas Mann mit seinem früheren Geliebten fiktionalisierte, schreibt er auch bei dem anderen Groß-Literaten ganz nah an der Realität. So sind der Masseur Paul Metzkow und die Sekretärin Annie Pollak ebenso authentische Personen wie unter anderem der späte Besucher Johannes R. Becher.
Aber auch die Eröffnung mit der Heimreise von Hauptmann und seiner Ehefrau Margarete aus Dresden ist historisch belegt. Die Eheleute haben im Sanatorium Weidner die verheerenden Luftangriffe auf Dresden miterlebt. Doch während die Rote Armee bereits Breslau eingekesselt hat und weiter vorrückt, drängt es sie in seltsamer Weltfremdheit nach Hause, obwohl die Villa im Osten liegt. Hier aber haben sie seit 1901 gelebt und auf seine Annehmlichkeiten wollen sie auch jetzt im März 1945 nicht verzichten.
Die Fahrt durch die Landschaft voller zurückströmender Soldaten, Verwundeter, Flüchtlingen und überall Ruinen ist auf beklemmende Weise großartig beschrieben. Um so mehr sticht die weltenferne Selbstgewissheit des gerade auch von den braunen Machthabern hofierten Literaten von Weltrang heraus. Noch immer wird im Luxusrefugium auf Etikette geachtet und im Chaos, das sogar Flüchtlinge aufs Anwesen spült, liegt in der Vitrine noch die Stradivari der Frau Dr. Hauptmann.
Doch der Abgesang bietet bei überschaubarer Rahmenhandlung eine hervorragende Plattform für einen Rückblick auf das lange bewegte Leben. Der spätere Vielschreiber brauchte seine Zeit, um seinen Weg zu finden, und dabei ließ er sich gern von Frauen aushalten. Das Porträt, das sich hier mit immer neuen, exzellent herausgearbeiteten Facetten bildet, zeigt Gerhart Hauptmann als einen Narziss, der in seiner Weltanschauung schillernd war und sich zu einigen Anbiederungen an die Nazis hinreißen ließ.
Wenn hier jedoch dank der intensiven Recherchearbeit Pleschinski auch kaum noch bekannte Werke in Erinnerung gerufen werden, wird deutlich, dass Hauptmann neben einer großen zahl berühmter Dramen und anderer literarischer Texte auch so manches schrieb, das als wenig vorzeigbar zu recht vergessen ist. Und dass er sich als eitler Kauz aufführte, der einerseits seine erworbenen Privilegien genoss, andererseits dafür aber auch sein Fähnchen in den Wind hing. Was sogar derartig symbolhaft geschah, dass das Hissen der Hakenkreuzfahne an seinem Ferienhaus auf Hiddensee überliefert ist.
Was die vielen Dialoge Hauptmanns – großenteils mit Masseur Metzkow – so authentisch unterlegt, sind auch bisher unveröffentlichte echte Tagebucheinträge beider Eheleute. Doch es gibt auch manche Zitate, die nicht von ihm selbst sind, aber um so mehr seine erst gegen das Lebensende hin in Zweifel gezogene moralische Haltung erahnen lassen: „In diesem Fall war es gut, dass Gerhart Hauptmann sich nie auf Prinzipien festlegt.“
Pleschinski aber urteilt nicht, er lässt Fakten und Zitate sprechen und schafft gerade dadurch ein höchst realistisches Bild des Literaten, der sein Genie hatte. Aber auch seine dunklen Seiten. Geschrieben ist das Alles in einer souveränen, eleganten Prosa, die selbst das Stottern des wortgewaltigen Dichterfürsten gekonnt einfließen lässt.

# Hans Pleschinski: Wiesenstein; 552 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen.


Kennziffer: NF 345 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de